Freie Bahn auf dem Superhighway

Auf der Datenautobahn in das nächste Jahrtausend / Doch über das Reiseziel wird noch gestritten  ■ Von Frank Holzkamp

Der amerikanische Präsident hat schon eine – unter einer eigenen e-mail-Adresse ist Bill Clinton Tag und Nacht via Datenleitung für die Öffentlichkeit erreichbar. Natürlich liest er die eingehende elektronische Post nicht persönlich – seit Einführung dieses Service im Juni letzten Jahres gingen über 250.000 Anfragen ein –, aber in einem standardisierten Rückschreiben wird immerhin versichert, daß das Personal des Weißen Hauses sehr wohl jede Nachricht bearbeitet. Die amerikanische Regierung macht in Aufbruchsstimmung – der von Vizepräsident Al Gore in der uramerikanischen Tradition des „go west“ in Angriff genommene „information superhighway“ soll den Weg in die Informationsgesellschaft ebnen. Nicht weniger als die Zusammenführung von Telefon, Fernsehen und Personalcomputer zu einem digitalen Universalmedium ist geplant, das den NutzerInnen den individuellen Zugang zu einem Angebot aus Hunderten von Fernsehkanälen, Datenbanken, interaktiven Fortbildungskursen und elektronischen Kaufhäusern bescheren soll. Dann soll die elektronische Post so selbstverständlich werden wie die „Telearbeit“ vor dem heimischen Terminal, die Videokonferenz so alltäglich sein wie heute die Dienstreise. „Es gibt keine wesentlichen technischen Schranken mehr“, behauptet Klaus Ullmann vom Verein Deutsches Forschungsnetz, „die Zeit der Religionskriege bei den technischen Standards ist vorbei.“ Fallende Preise und rasant zunehmende Leistungsfähigkeit sorgen für eine weitere Verbreitung von Computertechnik, die geballte Rechenpower in Büro und Wohnzimmer harrt nun der Vernetzung über den globalen Datenhighway. Und die Zeit drängt, waren sich ExpertInnen auf einer Anfang Juni vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung veranstalteten Konferenz einig, soll die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschaft nicht im Wettbewerb mit den USA und den fernöstlichen Ländern ins Hintertreffen geraten. Die Forderung an Telekom und Postministerium: als Einstieg möglichst rasch preiswerte Datenleitungen auf Basis der bestehenden Telefon- und Kabelfernsehnetze verfügbar machen. Ein drastischer Preisverfall ist vom Ende des Postmonopols der Telekom bis 1998 zu erwarten, das mit der Postreform II eingeläutet wird. Die dann auf den Plan tretende private Konkurrenz müßte allerdings auch die Milliardeninvestitionen für den Vollausbau mittragen. Für die Übertragung von Bild und Ton in Fernsehqualität ist das bestehende Telefonnetz zu schwach dimensioniert.

Mit als Erste werden die Bonner ParlamentarierInnen und MitarbeiterInnen der Bundesbehörden massiv den Segnungen der Telearbeit ausgesetzt sein. Bis 1998 sollen Bundeskanzler, Bundestag und einige Ministerien ihre Zelte in Berlin aufgeschlagen haben, der Kontakt mit den Restbehörden am Rhein soll dann über eine Glasfaserstrecke gehalten werden. An der technischen Realisierung von „Polikom“ arbeitet zur Zeit die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, das Bundesforschungsministerium hat immerhin 120 Millionen Mark locker gemacht. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß das System in vier Jahren läuft – nur: Werden sich die eingeschliffenen Arbeitsabläufe und krustigen Hierarchien in Behörden und Ministerien über das Netz überhaupt nachbilden lassen?

Die Beteiligten sehen und hören sich zwar, die zufällige Begegnung in der Kantine oder auf dem Klo dagegen entfällt, und damit die bei solchen Gelegenheiten oft gefundene rettende Idee. Gruppenarbeit erfordert engen persönlichen Kontakt, der über die multimediale Begegnung hinausgeht. „Wir sind weit davon entfernt, menschliche Kooperation wirklich abzubilden“, räumt Sabine Thümler ein, die sich bei Siemens um die computergerechte Modellierung sozialer Prozesse bemüht. Für Klaus Ullmann sind „Videokonferenzen nur brauchbar für Gruppen, die sich vorher kennengelernt haben“. Neben der Qualität wird sich durch den zunehmenden Einsatz von Informationstechnik aber auch die Quantität der Beschäftigung ändern. Taugt die Datenautobahn als arbeitsbeschaffende Vision angesichts einer aus ökologischen und ökonomischen Gründen nicht mehr beliebig steigerbaren materiellen Produktion? Klaus Ullmann sieht mit Verweis auf die Postreform „100.000 Beschäftigte zu viel bei der Telekom“, hofft aber auf neu entstehende Jobs wie bei den Mobilfunknetzen und im Dienstleistungssektor. „Lebenslanges Lernen für den Bürger als Arbeitnehmer ist angesagt“, so Helmut Volkmann, bei Siemens für Forschung und Entwicklung zuständig. Er sieht vielfältige „Problemlösungsgeschäfte“ in Bereichen wie ressourcenschonende Produktion, Energieersparnis und umweltschonender Verkehr entstehen. „Die Jobvernichtung steht in keinem Verhältnis zu den paar neu entstehenden Arbeitsplätzen“, warnt dagegen die Berliner Politologin Eva Lischke. Sie setzt auf eine gerechtere Verteilung der raren Arbeit. Während die Frage, ob und wie denn das nebulöse „Wirtschaftsgut Information“ auf den Netzen erzeugbar und vermarktbar ist, den ExpertInnen schwer zu kauen gibt, bereitet sich die Unterhaltungsindustrie schon ganz konkret auf die Eroberung neuer Märkte wie „video on demand“ und „pay per view“ vor. Dabei werden Unterhaltungs- und Informationsangebote weiter verschmelzen, die NutzerIn wird sich aus den – denkbaren – mehreren hundert Kanälen letztlich ein eigenes Programm zusammenstellen können.

Das aber setzt mündige und aktive KonsumentInnen voraus, die nicht den Überblick zwischen Stadtteilfernsehen, Videobank und Pornokanal verlieren. Ulrich Schmidt, Mitarbeiter des ISDN- Gegenpapstes Herbert Kubicek, ist da skeptisch: „Informationen über alles verlieren ihren Sinn und Zweck, sie helfen allen und niemandem, sie orientieren in gleichem Maße wie sie desorientieren. Die neuen Computermedien haben tendenziell das Problem, daß ihnen die Zielgruppe fehlt.“ So erklärt er auch die mickrigen Erfolge von bereits existierenden elektronischen Medien wie Bildschirmtext und ISDN. „Die Visionen sind geblieben, nur alle fünf Jahre wurde die spezielle Techniklinie ausgetauscht, die nun endlich die Verheißungen realisieren soll.“ Für Eva Lischke sind Computer letztlich neutrale „Strukturverstärker“ ohne eigenes Problemlösungspotential. Helmut Volkmann drängt dann auch – für das Haus Siemens erstaunlich genug – darauf, in noch zu errichtenden virtuellen „Städten des Wissens“ vor allem zwei Fragen zu klären: „Was wollen wir?“ und „Was können wir wagen?“