Drehbuch einer angekündigten Okkupation

Die US-Armee plant den Einsatz in Kuba: Ordnung herstellen, Eigentumsfrage regeln, Gräber registrieren  ■ Von Bert Hoffmann

„Es gibt erhebliche Anzeichen dafür, daß Kuba eine größere Herausforderung für die US-Armee werden kann als Somalia, Kurdistan und Panama zusammen.“ Die Offiziere der US-Army bekamen Anfang dieses Jahres Beunruhigendes zu lesen. Während noch Bosnien, Nordkorea und Haiti die öffentliche Diskussion um Militär- Einsätze beherrschen, bereitete das offizielle Organ der US-amerikanischen Armeeführung, die Military Review*, ihre Mannen auf den „Fall Kuba“ vor.

Es ist das Programm einer Okkupation, von der „Friedenserzwingung“ bis zur „Übernahme der Gefängnisse“, von der „Regelung der Anordnungen zum Besitz an Grund und Boden“ bis zu „Anti-Guerilla-Operationen“. Gründlich bis hin zum letzten Punkt der Auflistung: „Gräber registrieren.“

Keine Invasion soll Fidel Castro stürzen, stellt der Autor, Oberstleutnant Geoffrey B. Demarest, Offizier der US-Armee in aktivem Dienst, denn auch gleich im ersten Absatz klar. Es sei „sehr unwahrscheinlich“, daß das US-Militär oder US-unterstützte Exil-Kubaner direkt zu der „Beseitigung des Diktators oder seines Regimes beitragen“ werden: „Wenn Castro die Macht verliert, dann wird dies durch seine eigene politische Gebrechlichkeit und den Willen der in Kuba lebenden Kubaner geschehen.“ Das könne schon bald sein, sich aber auch noch einige Jahre hinziehen. Aber, so die Military Review, man hat sich vorzubereiten. Und zwar gründlich.

Ausgangspunkt: „Zustand des Chaos“

Ausgangspunkt für den Einsatz der US-Armee in Kuba jedenfalls ist nicht die Herrschaft Castros selbst, sondern der „Zustand des Chaos“, der ihrem Zusammenbruch bzw. dem „Verlust effektiver Kontrolle durch das Castro- Regime“ folgt. Ob Castro „von abtrünnigen Armeegenerälen erschossen“ wird oder „unter fragwürdigen Umständen eines natürlichen Todes stirbt“, ob „Aufstände ausbrechen“ oder andere Konflikte die Insel erschüttern, ist hierfür egal. Das Aufgabenfeld für die US-Army ist in allen Fällen grundsätzlich dasselbe.

Vielleicht passiert ja auch nichts von alledem. Aber wenn doch, dann ist es in der Tat leicht vorzustellen, wie die Bilder um die Welt gehen würden: Blutbad, Terror, Anarchie – und das nur 90 Meilen von den USA! „Dieses Chaos“, heißt es in der Military Review, „könnte eine Entscheidung der US-Regierung zur Folge haben, für Stabilität zu sorgen und Hilfe für den Übergang zur Demokratie zu leisten.“ Und wer wollte bezweifeln, daß bei diesem Unterfangen dem US-Militär eine „zentrale Rolle“ zukäme?

Am überschaubarsten ist der Einsatz der US-Armee noch, wenn es darum geht, eine Massenemigration verarmter Kubaner zu verhindern. Im Zweifel wird auch hier das Modell Haiti greifen: Abschottung und Rückführung.

Alles weitere wird komplizierter. Da sind zunächst die klassischen militärischen Ziele: „Sicherung von Schlüsselinstallationen und ehemaligen Militärbasen“, „Kontrolle über die Hauptwaffensysteme“ der kubanischen Armee, „Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung“ sowie alles, was für Militärplaner unter den Programmpunkt „Friedenssicherung/ Friedenserzwingung/Konfliktlösung/Kriegsbeendigung“ fällt.

Der Autor der Military Review nährt dabei keine Illusionen, daß dies schnell und leicht zu erledigen wäre, daß es ein splendid little war sein würde wie jener, in dem die USA 1898 die Insel fast mühelos dem zerfallenen spanischen Kolonialreich entrissen und ihrer Einflußsphäre einverleibten.

Das gravierendste Problem jeglicher Militäroperation in Kuba benennt die Military Review immer wieder: Die Kubaner. In der Militärsprache: „Die Akzeptanz der Kubaner für ein Eingreifen der US-Regierung und insbesondere der US-amerikanischen Armee.“ Dieses Akzeptanzproblem „wird vermutlich die wichtigste unbekannte Größe sein. (...) Erfolg oder Scheitern in jedem möglichen Aufgabenbereich können von feinen Veränderungen in der allgemeinen Gefühlslage der Kubaner gegenüber der Anwesenheit der US-Armee abhängen.“

In der Tat ist der Nationalismus eine entscheidende Stütze der Macht Castros – sehr im Gegensatz zu den Ländern Osteuropas, wo er umgekehrt zum zentralen Moment beim Sturz der sozialistischen Regierungen wurde. Als die kubanische Revolution vor 35 Jahren die Machtverhältnisse auf der Insel umwälzte, ging ein großer Teil der alten Elite ins Exil in die USA – in der Gewißheit, daß Uncle Sam und seine Soldaten ihnen die Sache wieder richten würden. In der Folge wurde das kubanische Exil denn auch weniger in Havanna aktiv als in Washington. Ihr wichtigstes politisches Instrument war das Wirtschaftsembargo der US-Regierung. Und daß Kuba nur deswegen noch nicht „befreit“ ist, weil die USA die Exilkubaner bei der Schweinebucht-Invasion im Stich ließen und überhaupt viel zu soft on Castro seien, wurde zur wohlgepflegten Lebenslüge der Exilgemeinde. Mit einem militärischen Eingreifen der US-Armee werden die Hardliner in Miami kaum Probleme haben. Ganz im Gegenteil.

Anders sieht das freilich für jene Kubaner auf der Insel wie im Ausland aus, die sich in der Vergangenheit in der einen oder anderen Weise als Teil der Revolution begriffen, und die heute bei aller Kritik und Opposition zu Castro am Ideal eines von ausländischer Bevormundung freien Kuba festhalten. Eine Militärokkupation durch die USA wäre für sie nachgerade das traumatische Scheitern der Revolution. Und daß mit der Zeit die kubanische Bevölkerung derart verarmt und verzweifelt, daß sie die offene Beherrschung durch die USA als kleineres Übel willkommen heißen könnte, ist ihr Alptraum.

Auf eine solche Entwicklung verlassen möchten sich die US-Militärs in ihrer Analyse jedoch nicht. Military Review warnt ausdrücklich, daß es verbliebenen Einheiten der kubanischen Armee oder sich bildenden Guerilla-Verbänden „leicht fallen könnte, versprengte Kubaner zu rekrutieren“. Denn: „Die Ablehnung eines imperialistischen Militärbesatzers ist ein offensichtlich ergiebiges Konzept.“

Gegenleistung für verletzendere Aspekte

Und hiergegen werden sich die USA, so die Schlußfolgerung der Militärs, mit mehr Aufwand wappnen müssen als gegen die maroden Panzer der kubanischen Streitkräfte: Ökologische Aufräumarbeiten durch die US-Armee würden „einen sichtbaren Dienst für die Kubaner darstellen, der eine Gegenleistung für das sein könnte, was als verletzendere Aspekte jeder US-Präsenz gesehen würde“. Für einen US-Einsatz in Kuba kommen aber noch andere Probleme hinzu. Der „Schutz von US- Bürgern“ ist, wie immer und überall, ganz oben auf der Liste der potentiellen Aufgaben des Militärs. Anders als bei der US-Invasion in Grenada vor gut zehn Jahren wird es in Kuba kaum um Touristen gehen – da ist das Wirtschaftsembargo der USA vor, das US-Bürgern den Urlaub auf der Insel verbietet. Die aufzubauende diplomatische Vertretung der USA sei sicherlich von der Armee zu schützen, fängt die Military Review klein an. Aber: „Auch viele Tausende von zurückkehrenden Exilkubanern wären ebenfalls US-Bürger.“ Und die Militärs erkennen, daß „dies zu einigen schwierigen politischen und juristischen Entscheidungen zwingen könnte. Viele US- Bürger könnten Ziele von Gewalttaten und Racheakten werden, oder diese begehen.“ Die USA treten in Kuba also nicht nur als imperiale Ordnungsmacht von außen auf, sie sind auch direkt Partei in den kubanischen Konflikten selbst.

Worum diese vor allem gehen werden, darin ist sich das Szenario der US-Army mit jeder marxistischen Analyse einig: „Die meisten Auseinandersetzungen in Nach- Castro-Kuba werden sich um Rechte drehen, die mit Eigentumsfragen zu tun haben. (...) Am unmittelbarsten werden die Kubaner sich der Frage der Besitzansprüche von vorrevolutionären Eigentümern gegenübersehen.“ Vorrevolutionäre Eigentümer, ist hinzuzufügen, die teilweise schon 1959 US- amerikanische Unternehmer waren, oder die in der Folge ihrer Emigration vielfach US-Bürger geworden sind. „Die US-Armee könnte aufgefordert werden, in einer besonders emotional aufgeladenen Atmosphäre juristische Beratung und das polizeiliche Management der Kontrolle von Besitzansprüchen bereitzustellen.“ Und daß ihr diese Rolle Kritik einbringen wird, ist vorhersehbar. „Die Verwicklung in das kubanische System der Registrierung und Gültigkeit von Immobilienansprüchen mag von manchen als besonders unangenehme Aufgabe einer Besatzungsmacht gesehen werden“, räumt die Military Review in einer Fußnote ein.

Aufschlußreich ist, daß gerade bei der Eigentumsfrage wiederholt das Beispiel der Sandinisten in Nicaragua angeführt wird. Diese hatten zwar 1990 die Wahlen verloren und die Regierung abgeben müssen, konnten jedoch einen kompletten Rollback der Besitzverhältnisse verhindern. Auch vier Jahre nach der Niederlage arbeiten zahllose Kooperativen auf einstigem Somoza-Land. Doch so sehr das Beispiel der Sandinisten von den Machthabenden in Kuba immer wieder als Negativexempel einer „Niederlage durch Öffnung“ ins Feld geführt wird, so wenig glücklich sind darüber auch die US-Militärs. „Die Sandinistische Armee“, heißt es in ihrer Analyse, „konnte trotz des Wahlsiegs von Violeta Chamorro ihre politische Identität und physische Integrität behaupten. Diese Tatsache stellte den Auffangblock an Zwangsmitteln dar, um vorrevolutionäre Besitzansprüche zurückzuweisen.“ Daraus abgeleitet zum Fall Kuba: „Eine Einbeziehung des US-Militärs in die Landfrage wäre schwieriger vorzustellen, sollte die kubanische Armee ähnlich überleben wie die sandinistische.“

Diese Parallele allerdings erscheint kaum realistisch. Daß in einem „Post-Castro-Cuba“ auch nach vier Jahren noch die von der Revolution geschaffene Verfassung ihre Gültigkeit behauptet (wie in Nicaragua) und Washington trotzdem das Embargo aufhebt; daß die Familie Bacardi sich noch jahrelang mit Raul Castro als Armee-Chef arrangiert wie Nicaraguas Humberto Ortega, den Violeta Chamorro nun erst 1995 abberufen will; oder daß Fidel Castro gar als Ex-Präsident die zivile Opposition anführt wie Daniel Ortega – ein ausgehandelter Übergang à la Nicaragua erscheint als die unwahrscheinlichste Perspektive von allen.

Für die USA ist Kuba ein anderer Fall. Hier geht es um mehr. Der Kampf gegen die revolutionären Projekte in Nicaragua und Grenada mag hohe politisch-ideologische Bedeutung gehabt haben, für die wirtschaftlichen Interessen Washingtons aber sind diese Länder lächerlicher Kleinkram. Alle Exporte Nicaraguas zusammen bringen weniger Dollars ein, als Kuba durch den Tourismus verdient, und das trotz Embargo und ohne Urlauber aus den USA, die auf den Karibikinseln sonst über 70 Prozent der Touristeneinnahmen ausmachen.

Bei Kuba hingegen ist die Interessenlage eine andere. Kuba war big business vor der Revolution und würde es jederzeit wieder sein. Und eine Militäraktion in Kuba wäre keine vorübergehende show of strength wie Irak, sondern hätte mit Sicherheit das Ziel, eine neue Ordnung auf Dauer abzusichern. „Die jüngsten Erfahrungen in Panama, Somalia und Kurdistan zeigen, daß die Armee bei einer möglichen Stationierung in Kuba eine vertiefte Struktur erwägen sollte“, formuliert die Military Review dies am Schluß ihrer Analyse. Konkret: „Der Aufmarsch schwerer Kampftruppen kann nicht abgelehnt werden. Aber auch wenn eine anfängliche Orientierung auf militärischen Kampf notwendig ist, werden von überragender Bedeutung für den langfristigen Erfolg der Mission Faktoren sein, die polizeilicher, nachrichtendienstlicher, juristischer und medizinischer Art sind, Fragen von Transport und Zivilordnung, psychologische Operationen und Ingenieursaufgaben.“

Am Ende spielen die Militärs den „Fall Kuba“ unterschwellig wieder den Politikern zu: Die Okkupation müsse, um erfolgreich zu sein, Teil eines umfassenden politischen Programms für das Nach- Castro-Kuba sein. „Das Problem Kuba ist viel zu ernst, als daß wir es den Kubanern überlassen könnten“, hatte einst ein Nixon-Berater die klassische US-Sicht auf den Punkt gebracht. Das Problem Kuba, ließe sich die Analyse der US-Armee zusammenfassen, ist viel zu ernst, als daß die USA es nur dem Militär überlassen könnten.

Unkontrollierbarkeit wird herbeigeführt

Die hier wiedergegebene Studie ist mit Sicherheit nicht die einzige Analyse des US-Militärs zum „Fall Kuba“. Natürlich gibt es auch Geheimpapiere. Und selbstverständlich weist die Militäry Review per Impressum darauf hin, daß der „Inhalt nicht notwendigerweise die offizielle Position der US-Armee wiedergeben.“ Erheblich spektakulärere Szenarien sind öffentliche Dauerbrenner: Eine Invasion der US-Marines, Havanna bombardieren, Castro vergiften etc. ... Das bedrohliche an den jüngsten Planungen in der Military Review aber ist, daß sie in ihrer militärischen Nüchternheit erschlagend plausibel ist. Gerade wo die triumphalistische Rhetorik fehlt, wird der technokratische Realismus der Macht um so schrecklicher.

Im Wahllkampf hatte Bill Clinton sich mit Anti-Castro-Sprüchen sehr ins Zeug gelegt. Unvergessen, wie er Bush vorwarf, dieser hätte versagt „to put the hammer down on Fidel Castro“. Seine Kuba-Politik als Präsident hingegen war bislang eine eher verhaltene, behutsame. Clinton scheine ihm „ein Mann des Friedens“, lobte Fidel Castro bereits über das Meer. Und man mag Clinton sogar glauben, daß er einen Einsatz des US-Militärs in Kuba nicht wünscht. Nur: Er tut nicht das Nötige, um ihn – vielleicht – zu vermeiden. Eine Initiative der Clinton-Regierung zur Beendigung des Embargos etwa ist nicht absehbar.

Die Embargo-Politik der USA jedoch zielt nicht auf Reform und Öffnung in Kuba, sondern auf Erdrosselung und Zusammenbruch. Und das ist der Skandal des Clintonschen Abwartens: Die fortgesetzte Politik der USA lauft genau darauf hinaus, früher oder später jenen state of chaos herbeizuführen, der der Ausgangspunkt für die Analysen der US-Militärs ist. Und es ist vorhersehbar, wie die Intervention der US-Armee dann als „unvermeidlich“ erscheinen wird.

*Lt. Col. Geoffrey B. Demarest, US-Army: The Cuba Contingency, in: „Military Review“, Vol. LXXIV, Jan. 94, No.1, S. 58ff.