■ Nebensachen aus Jericho
: Warten auf Jassir Arafat

Die derzeitige Hauptbeschäftigung in Jericho heißt Ausharren. Die palästinensische Kleinstadt erwartet den Einzug des PLO- Vorsitzenden Jassir Arafat, doch der kommt und kommt nicht. Nicht nur PalästinenserInnen warten. Die israelischen Besatzer wurden von internationalen Mediengiganten abgelöst. Früher kontrollierte die israelische Armee die Straßen. Heute herrschen CNN, ABC, NBC, WTN und andere TV-Anstalten über die biblische Stadt. Die Händler von bewegten Bildern haben das ehemals verschlafene Nest in ein gigantisches Freilandstudio verwandelt.

Die neue Form der Besatzung zahlt sich für die PalästinenserInnen aus. Sie haben genug Medienerfahrung gesammelt, um zu wissen, welche Summen große Fernsehstationen für mediale Superereignisse ausgeben. Das meistbegehrte Gut Jerichos sind derzeit die Dächer. Die Besitzer der Häuser am Hauptplatz sind die Gewinner des Spektakels. Um auf einem der Dächer am Tag der Ankunft Arafats eine Kamera aufbauen zu dürfen, wurden bereits bis zu zehntausend US- Dollar bezahlt. „Dafür hätte ich früher das ganze Haus kaufen können“, murrt ein Neider mit einer Immobilie in den hinteren Reihen.

Das Datum, an dem Arafat seinen triumphalen Einzug feiern will, ist Stoff für Spekulationen. „Innerhalb der nächsten Woche“, hieß es vor wenigen Tagen aus dem PLO-Hauptquartier in Tunis. Doch die Meldung wurde dementiert. „Eigentlich“, glaubt ein Palästinenser, „muß er noch vor dem Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft kommen.“ Danach werde sich die Welt nur noch für das runde Leder interessieren, und Arafat müsse bis nach der WM abwarten.

„Die Leute denken nicht mehr an ihre Arbeit, sondern daran, wie sie von der Weltpresse profitieren können“, beschreibt Khalid Amar, ein örtlicher Journalist, die Lage. Die BewohnerInnen Jerichos lebten in einer Traumwelt, in der der frühere Durchschnittslohn von monatlich 400 Dollar keinen Wert mehr habe. In den letzten Wochen sind Büros mit Namen wie „Jericho Connection“ wie Pilze aus dem Boden geschossen. Sie bieten Übersetzungen und Stadtführungen für die von auswärts angereisten Journalisten an.

Auch bei der palästinensischen Fernsehstation PBC (Palestinian Broadcasting Corporation) herrscht Hochstimmung. Das Studio wurde in einem der wenigen Hotels Jerichos eingerichtet. In der Lobby betrachtet man seit Tagen stolz das Testbild der neuen Station. In der nächsten Woche soll sie zumindest im Raum Jericho auf Sendung gehen. Bisher fehlt allerdings noch die Sendeantenne. Zwei Millionen Dollar habe man bereits in Kooperation mit dem zweiten französischen Fernsehen für den Tag X ausgegeben. Wenn Arafat denn kommt, werden zwölf Kameras der PBC durch die Straßen streifen, ein Helikopter ist ebenfalls angemietet. Durch den Verkauf der Bilder an andere Fernsehstationen hoffe man, die Kosten wieder hereinzuholen, erzählt Ali Rayan. Er hat vor 15 Jahren die Belgrader Filmhochschule absolviert, und heute ist er der erste Chef des palästinensischen Fernsehens.

Daß sie nach der Ankunft Arafats wieder aus ihrem Eldorado- Traum aufwachen müssen, scheint nur wenigen BewohnerInnen Jerichos klar zu sein. Khalid Amar ist einer der wenigen. „Die Weltpresse interessiert sich nur für den historischen Moment, den kurzen Augenblick der Ankunft des PLO-Chefs in Jericho“, meint er. Die angereisten JournalistInnen wollten den neuen Frieden in einer kurzen Sequenz festhalten und dann wieder nach Hause fahren. Das sei so, „wie wenn man eine Hochzeit auf Video aufnimmt. Für das anschließend geborene Kind interessiert sich niemand mehr.“ Karim El-Gawhary