„Es kommt keiner“

In Sachsen-Anhalt strampeln sich die WahlhelferInnen an der Basis ab / Das Interesse der Bevölkerung am SPD-Wahlkampf geht aber gegen Null / Wo die SPD hinkommt, da war die PDS schon da  ■ Von Wolfgang Gast

Nichts klappt, wie es klappen soll. Kein Stand ist aufgebaut, kein roter Sonnenschirm zeugt von der Präsenz der SPD, kein Wahlkampfmaterial liegt bereit, das den Einkäufern und Einkäuferinnen in die Hand gedrückt werden könnte. Irgendwas ist schiefgelaufen bei den Absprachen. Stefan Grönebaum wirft einen ratlosen Blick auf den Vorplatz des Supermarktes, dann handelt er. Aus dem Auto holt er Plakate und Broschüren, vom Sperrmüll um die Ecke einen Tisch und eine Holzplatte – fertig ist der improvisierte Wahlkampfstand der SPD. Das Konterfei des Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am kommenden Sonntag klebt der 32jährige mit SPD- Aufklebern an die Betonfassade. Deren Aufdruck „Mit Sicherheit vorwärts“ wirkt angesichts der organisatorischen Panne dann doch ein wenig deplaziert.

„Wir treffen uns an einem Tag, an dem nichts funktioniert“, entschuldigt sich der ehrenamtliche Wahlkämpfer, „bisher hat's aber immer mehr oder weniger geklappt.“ Er wartet auf den Spitzenkandidaten, auf Reinhard Höppner, der heute mittag im Neustädter Feld im Norden Magdeburgs Straßenwahlkampf machen soll.

Das Neustädter Feld, das ist Platte pur, das sind Wohnblöcke, wie von einer riesigen Hand ins Feld geworfen. In der Mitte steht der frühere Dienstleistungswürfel, der heute einen Supermarkt beherbergt. Obst und Gemüse gibt es an den davor aufgebauten Ständen, dort werden auch Textilien zum Billigpreis verramscht. Der Blumenhändler nebenan ist der erste, der den improvisierten SPD- Stand besucht. Der Mann beklagt, er warte schon seit einem halben Jahr auf sein bereits bewilligtes Wohngeld.

60.000 Menschen wohnen hier, ganze 50 davon sind im Ortsverein der SPD, 1.000 aber, rund 20 mal soviel in der PDS organisiert. Mit Blick auf die zahlreichen Satelliten-Empfangsantennen an den Gebäuden erklärt Grönebaum, „das erste, was sich die Menschen hier angeschafft haben, das waren die Schüsseln, damit sie das Elend nicht sehen müssen“. Die Hälfte der Erwachsenen, erklärt er, seien entweder arbeitslos, im Vorruhestand oder gerade einmal über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen abgesichert. „Hier müssen Sie sich einmal in die Flure trauen.“

Rund ein Drittel der Wähler im Neustädter Feld hat bei der Kommunalwahl den Sozialdemokraten die Stimme gegeben, fast genauso viele der PDS. Die CDU, die im Bundesland zusammen mit den Liberalen die Regierung bildet, landetete mit einem Stimmenanteil um die 20 Prozent nur auf Platz drei, die FDP würde hier an der Fünfprozenthürde scheitern.

Grönebaum ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ostberliner SPD-Bundestagsabgeordneten Konrad Elmer, und er ist ein ausgesprochener Optimist. Den Urlaub hat er geopfert, um Werbung für die Sozis zu machen. Seit Mitte Mai ist er auf Achse: Wahlkampf ganz unten. Um 15 Uhr soll der Stand am Supermarkt abgebaut sein, dann will er in die umliegenden Hochhäuser, SPD-Broschüren in die Briefkästen stecken. Bei dem einen oder anderen wird er dann klingeln. Rüberbringen will er, „wer den Wechsel will, muß Höppner wählen“.

Bei den Europawahlen ist die SPD zwar bundesweit eingebrochen, in Magdeburg hat sie ihr Ergebnis aus den Kommunalwahlen 1990 aber mehr oder weniger halten können. Grönebaum hat schon vor vier Jahren im Neustädter Feld Wahlkampf geführt. Fünf Prozent hat hier die PDS, sechs die SPD im Vergleich zur vorangegangenen Kommunalwahl gewonnen. Die CDU mit Ministerpräsident Christoph Bergner (Grönebaum: „so volksnah wie ein Gefrierschrank“) an der Spitze, mußte zehn Prozent Verlust hinnehmen.

„Im Vergleich zu 90 ist die Stimmung erheblich anders, die Leute sind uns heute freundlicher gesonnen“, meint Wahlkämpfer Grönebaum. Und weil die PDS bei den Kommunalwahlen „im Rahmen der niedrigen Wahlbeteiligung das Protestpotential ideal ausgeschöpft hat“, hofft er bei den Landtagswahlen auf ein für die SPD noch besseres Ergebnis. Anders als die Genossen landauf und landab hält er den derzeit eingeschlagenen scharfen Abgrenzungenskurs der SPD gegenüber der SED-Nachfolgepartei für verfehlt. „Die Leute haben das Gehechel über die Kommunisten satt“, glaubt er, „die Abgrenzung kommt hier nicht an“.

Fast unbemerkt trifft mit halbstündiger Verspätung der Spitzenkandidat der Sozis, Oppositionsführer Reinhard Höppner, ein. Im Hintergrund werden die Einkaufswagen geschoben, Höppner diskutiert mit den Passanten und Einkäufern. Viele der Passanten kennen ihn, vielleicht auch nur, weil er am Abend zuvor bei einer Elefantenrunde des Mitteldeutschen Rundfunks im Fernsehen zu sehen war. Der Kandidat hat ein Ohr für die Anliegen der BürgerInnen. Nachvollziehen kann er beispielsweise, daß die Leute nicht verstehen, „wenn Arbeitslosen die Kirchensteuer abgezogen wird“. Und das, obwohl sie gar nicht in der Kirche sind. Eine Stunde hat er Zeit, dann geht es zum nächsten Termin. Bis dahin signiert er Broschüren, verteilt Malbücher an Kinder und streitet mit bekennenden PDS- Wählern, dabei immer freundlich und verbindlich. Immer wieder erklärt er, „den Neuanfang kriege ich nur, wenn die CDU auf der Oppositionsbank landet“. Und das erfordert selbstverständlich die Wahl der SPD. Wer dagegen am Sonntag für die PDS stimmt, der „sorgt dafür, daß die CDU am Ruder bleibt“. Wieweit die Argumentation verfängt, wird sich erst am Sonntag zeigen. Die wenigsten der Angesprochen lassen erkennen, wem sie bei der Landtagswahl ihre Stimme geben werden.

Wahlhelfer Grönebaum gibt sich dennoch zuversichtlich. „Wenn ich nicht optimistisch wäre, würde ich hier keine 14-Stunden- Tage machen.“ Bis zur Wahl will er weiter durch die Trabantenstädte ziehen und die Terra incognita, die vielen Wohnblöcke, aufsuchen, in denen bisher „noch nie ein SPDler war“.

Für den Schlußspurt zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt laufen die Fäden in der Magdeburger SPD-Zentrale nahe dem Landtag zusammen. Nachdem der Sonderparteitag des SPD nach Halle verlegt wurde, werden in dessen Umfeld die SPD-Promis wie Johannes Rau, Regine Hildebrandt und Rudolf Scharping in den verschiedenen Orten noch Kundgebungen abhalten. Im holzgetäfelten Seminarraum an der Bürgelstraße werden die letzten Einzelheiten für den Auftritt des Parteivize Wolfgang Thierse in Wolmirstedt festgelegt. „Wie groß ist die Bühne?“, „Ist die Tonanlage fest istalliert?“, „Brauchen wir Ordner?“ Das sind die Fragen eines Mitarbeiters aus dem Bonner Parteivorstand an die örtlichen Wahlhelfer, die die Hauptlast der Vorbereitungen zu tragen haben.

Koordiniert werden in der Magdeburger Zentrale aber auch die kleinen Auftritte, etwa der der Landtagskandidatin Elke Lindemann in der nahe gelegenen Kreisstadt Schönebeck. Der SPD-Geschäftsführer Rolf Gerstel weist dem Fahrer des Kleinstransportes den Weg in die 13 Kilometer entfernte Stadt mit 42.000 Einwohnern. „Platz da“ ist auf den Kastenwagen angeschrieben, der im Auftrag des SPD-Bundesvorstandes seit August letzten Jahres Jahres durch die Lande tingelt. „Platz da“ steht für „Wir schaffen Platz“, das heißt für eine bundesweite „wohnungspolitische Initiative der SPD“, die über Tapetentisch, Plakatständer und allerlei Broschüren an die Frau und an den Mann gebracht werden soll.

Das Konzept ist so einfach wie erfolgversprechend. Der Bus wird auf Marktplätzen, in Fußgängerszonen oder vor Kaufhallen abgestellt, der Stand mit dem großen SPD-Schirm vom Fahrer aufgebaut – die örtlichen KandidatInnen müssen hinter dem Tisch nur noch Platz nehmen und die Broschüren verteilen.

Enttäuscht vom Abschneiden der eigenen Partei bei den Europawahlen, setzen Rolf Gerstel und Elke Lindemann darauf, daß sich am Sonntag „bei einer hohen Wahlbeteiligung die Prozente der PDS relativieren“, und daß sich am Ende die vielen kleinen Wahlkampfveranstaltungen zuletzt doch noch rechnen. Bisher ist das Ergebnis für beide recht ernüchternd. „Es kommt keiner“, klagt Elke Lindemann, dabei seien alle Veranstaltungen der SPD öffentlich. Ihre Ausage bestätigt sich an diesem Nachmittag auch auf dem Marktplatz in Schönebeck. Kaum einer findet zum SPD-Stand, kaum eine mag ernsthaft mit der SPD- Kandidatin diskutieren. „Die, die Arbeit haben, können um diese Zeit nicht, und die keine haben, bleiben ohnmächtig zu Hause sitzen.“

Ein wenig ratlos versucht sie, das mangelnde Interesse am SPD- Wahlkampf zu erklären. Ihr geht es dabei nicht viel anders als dem Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Jürgen Kriesch. Der meint, „angesichts der wirtschaftlichen Lage sollte man erwarten können, daß sich die Leute über andere Konzepte informieren wollen“. Doch: „Manchmal glaube ich, die Leute sind einfach zu frustriert.“

Sarkastisch zieht sich Elke Lindemann hinter eine Aussage des SPD-Spitzenkandidaten Reinhard Höppner zurück. Der hatte empfohlen, eine geringe Beteiligung bei den SPD-Veranstaltungen nicht zu tragisch zu nehmen. Selbst wenn nur wenige kämen, so würden dennoch Tausende durch die Zeitungen zur Kenntnis nehmen, daß die SPD Wahlkampf betreibe. Unerklärlich ist Lindemann auch, warum die Sozialdemokratie von den zahlreichen Skandalen der Landesregierung so wenig profitieren konnte. Immerhin habe die CDU in nur einer Wahlperiode zwei Ministerpräsidenten zurückziehen müssen. Als ein Erklärungsmuster hat sie die Politik der PDS ausgemacht. Von deren haltlosen Versprechungen, von der Schaffung von Kindergartenplätzen bis zur Abgabe kostenloser Schulbücher, ließe sich das Wahlvolk täuschen. Die, „die den Volksparteien den Rücken gekehrt haben, sehen nicht, daß sie damit Verhältnisse schaffen, die keiner haben will.“ Besonders empört hat sie der Slogan der PDS „Veränderung beginnt mit Oposition“. Der Spruch sei unseriös, weil er doch suggeriere, etwas verändern zu wollen, aber ohne zu sagen, wie das geschehen soll.

Die Partei des demokratischen Sozialismus ist nahezu allgegenwärtig. Die PDS-Plakate sind zwar ebenso wie die der Altparteien vergilbte Exemplare aus dem Kommunalwahlkampf, Gysis Truppe steckt nach dem überraschenden Wahlerfolg aber vor allem in den Köpfen der SPD- Wahlkämpfer.

Im Vorfeld der Landtagswahlen will Elke Lindemann und der harte Kern der 250 SPD-Mitglieder am Ort jetzt noch „einen Zahn zulegen. Wir stellen uns noch einmal vor die Kaufhäuser und fahren noch einmal gezielt über die Dörfer“. Ironisch fügt sie an, „man will sich ja nicht in nachhinein sagen müssen, wenn's danebengeht, hättste mal mehr gemacht.“ Im selben Moment kommt Wind auf und wirft den Tapeziertisch samt Broschüren um. Zwinkernd kommentiert die Landtagskandidatin: „Wenn das mal kein Omen ist.“