■ Mustafa Hidschri, Chef der „Demokratischen Partei Kurdistans – Iran“, zu Deutschland, Iran und Kurdistan
: „Kinkel gab mir keine Antwort“

Seit 1979 ist Mustafa Hidschri Mitglied der „Demokratischen Partei Kurdistans – Iran“ (KDP-I). 1989 wurde deren damaliger Generalsekretär Abdelrahman Ghassemlou in Wien von iranischen Geheimdienstlern ermordet. 1992 starben sein Nachfolger Sadegh Scharafkandi und drei weitere iranische Kurden in dem Berliner Restaurant Mykonos im Kugelhagel. Als Drahtzieher des Attentats gilt der iranische Geheimdienstagent Kazem Darabi. Nach der Ermordung Scharafkandis übernahm Mustafa Hidschri die Führung der Partei. Die taz sprach mit ihm am vergangenen Donnerstag in Bonn. Zum gleichen Zeitpunkt hielt sich auch der iranische Außenminister Welajati in der Bundesrepublik auf.

taz: Wen haben Sie in der Bundesrepublik getroffen?

Mustafa Hidschri: Den Oberstaatsanwalt in Berlin, im Zusammenhang mit dem „Mykonos-Prozeß“, und Abgeordnete der SPD, der Grünen und der CDU.

Sie hatten also keinen Kontakt zu Regierungsvertretern oder zu jemandem vom Auswärtigen Amt?

Ich habe um ein Treffen mit Außenminister Kinkel gebeten, aber keine Antwort bekommen. Ich denke, das hängt mit der Anwesenheit des iranischen Außenministers Welajati zusammen. Allem Anschein nach sind für die Bundesregierung wirtschaftliche Interessen wichtiger als Menschenrechte und die Unterstützung demokratischer Kräfte.

Herr Welajati ist vom Kanzler, von Außenminister Kinkel und Wirtschaftsminister Rexrodt empfangen worden. Wenn Sie die Chance gehabt hätten, ebenfalls mit diesen Personen zu sprechen, was hätten Sie ihnen gesagt?

Ich hätte gesagt: Ihre Unterstützung hält das unmenschliche iranische Regime am Leben. Sie ermöglicht der Islamischen Republik, ihre Feindseligkeit gegenüber dem Weltfrieden fortzusetzen – beispielsweise sich gegen das Abkommen zwischen der PLO und Israel zu stellen –, fundamentalistische Organisationen zu unterstützen und die eigene Bevölkerung zu unterdrücken. Die Demokratie in Deutschland ist wirtschaftlichen Interessen zum Opfer gefallen.

Sie haben mit einem Staatsanwalt über den „Mykonos-Prozeß“ gesprochen. Wie ist Ihr Eindruck von diesem Prozeß?

Ich denke, daß die wahren Täter vor Gericht stehen. Ich bin allerdings überzeugt, daß der Iran versucht, durch wirtschaftliche Zugeständnisse an die Bundesrepublik, dieses Verfahren zu beeinflussen. Ein Beispiel dafür ist der Besuch des iranischen Ministers für Sicherheit und Geheimdienst, Fallahian, kurz vor Prozeßbeginn. Herr Schmidbauer [Staatsminister im Bundeskanzleramt und Koordinator der deutschen Geheimdienste, empfing Fallahian im Oktober 1993, d. Red.] hat eingeräumt, daß Fallahian darauf gedrängt habe, den Prozeß fallenzulassen. Ich fürchte, daß die Aufklärung des Mordes wirtschaftlichen Interessen geopfert wird.

Ihre beiden Vorgänger wurden in Europa ermordet. Fühlen Sie sich auf dieser Reise sicher?

Ich fühle mich nirgends sicher. Es ist die Politik der Islamischen Republik, ihre Gegner weltweit auszuschalten. Die führenden Personen meiner Partei sind zum Tode verurteilt. Ich habe eine Kopie eines Schreibens vom Generalstabschef der iranischen Revolutionswächter. Darin wird der Auftrag erteilt, zwei Personen zu ermorden. Eine ist Chaho Hosseini, Mitglied des Zentralkomitees meiner Partei und Auslandsvertreter der KDP-I in Paris. Auf mich ist 1991 in Irakisch-Kurdistan ein Bombenanschlag verübt worden. Mein Leibwächter starb dabei. All das passiert in einer Zeit, in der die Bundesregierung die iranische Führung „pragmatisch“ nennt.

Wie ist zur Zeit die Situation in Iranisch-Kurdistan?

Es sind über 50.000 iranische Soldaten und Revolutionswächter in Kurdistan. Iranische Truppen haben seit Gründung der Islamischen Republik 300 Dörfer zerstört. Unsere politische Arbeit findet im Untergrund statt. Unsere Partisanen agieren als Guerilla.

Was für Chancen hat eine kurdische Bewegung derzeit im Iran?

Sie kann die Zentralregierung schwächen und die Bevölkerung zum Widerstand motivieren sowie die Aufmerksamkeit Europas und der Nachbarländer auf sich lenken. Aber sie kann die Führung der Islamischen Republik nicht zur Demokratisierung zwingen. Die wird bis zum letzten Atemzug gegen jede demokratische Bewegung kämpfen.

Wie stabil ist die iranische Führung? Wirtschaftlich geht es dem Land schlecht, es gab Unruhen.

Alle Anzeichen von Stabilität sind auf wirtschaftliche Unterstützung des Westens zurückzuführen.

Wie ist Ihr Verhältnis zur anderen iranischen Opposition?

Wir haben gute Beziehungen zu allen, mit Ausnahme der Volksmudschaheddin und der Monarchisten.

Was ist Ihr primäres Ziel: ein unabhängiges Kurdistan oder ein demokratischer Iran?

Ein demokratischer Iran, in dem unsere nationalen Rechte und Menschenrechte garantiert sind.

Sie kommen jetzt aus Irakisch- Kurdistan. Was bedeutet diese Autonomieregion, die seit Ende des zweiten Golfkriegs existiert, für die Kurden insgesamt?

Egal in welchem Teil Kurdistans das kurdische Volk zu seinen Rechten gelangt, wirkt sich das positiv auf die anderen Teile aus. Die Gründung einer solchen Demokratie in (Irakisch-)Kurdistan trägt zur Demokratisierung der ganzen Region bei. Gerade deswegen sind die Nachbarländer darum bemüht, diese Demokratie zu Fall zu bringen. Seit einem Jahr beschießt der Iran Irakisch-Kurdistan mit Granaten und schickt Terroristen in die Region.

Seit sechs Wochen schießen in Irakisch-Kurdistan aber nicht nur Iraner auf Kurden, sondern Kurden auf Kurden. Was sind die Ursachen für diesen Konflikt?

Die Voraussetzungen für diesen Krieg hat der Iran geschaffen. Seit Gründung der kurdischen Regionalregierung im Sommer 1992 hat er seine Agenten in die Reihen der zwei großen irakisch-kurdischen Parteien, KDP [Kurdische Demokratische Partei] und PUK [Patriotische Union Kurdistans], geschleust.

Ist es nicht ein bißchen einfach zu sagen, alles kommt von außen?

Die beiden kurdischen Parteien sind nicht unschuldig. Aber in diesem Krieg ist die Islamische Republik der wichtigste Faktor.

Sehen Sie eine Chance, den Konflikt beizulegen?

Der Iran wird nicht aufhören, die kurdische Autonomie zu sabotieren. Um den Krieg zu beenden, müssen beide Parteien gegen diese Hauptursache kämpfen.

Die Autonomieregion ist lebensfähig, weil über dem Gebiet Flugzeuge der Golfkriegsalliierten kreisen. Deren Mandat wird alle sechs Monate verlängert, bietet aber keine längerfristige Perspektive. Was müßte passieren, um die Zukunft der Kurden zu sichern?

Die Alliierten sollten die Kurdenfrage als politische Frage betrachten und nicht als humanitäre Angelegenheit. In Irakisch-Kurdistan hat es bisher nur humanitäre Unterstützung gegeben. Die ist natürlich zu begrüßen, aber es fehlt die politische Unterstützung.

Hieße das: Anerkennung eines unabhängigen Kurdistan?

Es geht nicht um ein unabhängiges Kurdistan. Die Alliierten sollten dafür sorgen, daß sich die kurdische Regionalregierung in einem föderativen Irak etablieren kann. Irakisch-Kurdistan hängt heute frei in der Luft. Dieses Problem sollte in einem föderativen System mit der irakischen Zentralregierung gelöst werden.

Der Konflikt im Nordirak nährt das Klischee von den zerstrittenen Kurden. Können Sie sich vorstellen, einmal einen gemeinsamen Staat zu haben?

Wir sprechen nicht von einem unabhängigen Kurdistan. Es steht nicht in unserem Programm, und es ist heute unmöglich zu verwirklichen. Es ist nicht unser Problem, Parteien mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen zu haben. Eines unserer Probleme ist es, daß wir keinen demokratischen Umgang miteinander haben. Aber das ist nicht nur unsere Schuld. Unser Volk hat niemals Demokratie erlebt. Wir brauchen eine demokratische Atmosphäre, in der wir miteinander umgehen können.

Hier ist die PKK die bekannteste kurdische Organisation. Wie ist Ihre Politik ihr gegenüber, und was halten Sie von dem Verbot der PKKdurch die Bundesregierung?

Wir haben Kontakt zur PKK, aber wir kritisieren ihre Vorgehensweise. Das Verbot halten wir für unangemessen. Die Welt muß begreifen, daß die Aktionen der PKK Reaktionen auf die unmenschliche Vorgehensweise der türkischen Regierung gegen die kurdische Bevölkerung sind.

Die iranische Regierung ist durch Chomeinis Mordaufruf gegen Salman Rushdie berüchtigt geworden. Was denken Sie über den Konflikt um Rushdie?

Ich verurteile den Mordaufruf. Aber ich sage auch: Das Regime, das Rushdie zum Tode verurteilt hat, hat Tausende Menschen ermordet, ohne daß jemand etwas dagegen unternommen hat. Europa scheint die Menschen in Klassen geteilt zu haben. Salman Rushdie als Europäer darf nicht bedroht werden. Iraner dürfen dagegen getötet werden, ihr Leben scheint keinen Wert zu haben. Interview: Thomas Dreger