Freiheit für Irmgard Möller?

■ Heute entscheidet das Landgericht Lübeck, ob die RAF-Gefangene den Knast bald verlassen kann / Votum hat Signalwirkung für andere RAF-Langzeitgefangene

Berlin (taz) – „Die Entscheidung unserer Genossen draußen ist richtig, sie entspricht dem, worauf auch wir Gefangene aus sind.“ Am 15. April 1992 antwortete Irmgard Möller der Untergrundgruppe der „Rote Armee Fraktion“ (RAF), die wenige Tage zuvor die – noch vorläufige – Einstellung tödlicher Kommandoanschläge verkündet hatte. „Keiner von uns wird nach seiner Freilassung zum bewaffneten Kampf zurückkehren.“ Das schrieb der in Celle einsitzende RAF-Gefangene Karl-Heinz Dellwo Ende Oktober 1992 ausdrücklich auch im Namen Irmgard Möllers. Am heutigen Mittwoch verhandelt das Landgericht Lübeck über die Frage, ob die zu lebenslanger Haft verurteilte RAF-Aktivistin der ersten Stunde nach fast genau 22 Jahren das Gefängnis „vorzeitig“ verlassen darf.

Das maßgebliche Kriterium, dem die Richter zu folgen haben, steht in Paragraph 454 der Strafprozeßordnung. Danach darf das Gericht Irmgard Möller freilassen, wenn „keine Gefahr mehr besteht“, daß ihre „durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht“. Daß die heute 47jährige dieses Kriterium erfüllt, ist nicht umstritten – nicht nur wegen der zitierten Äußerungen, sondern auch, weil eine Untergrundgruppe, der sich Irmgard Möller anschließen könnte, nicht mehr existiert. So sehen das die Justizministerien in Bonn und Kiel, so sehen es selbst die amtlichen RAF-Verfolger der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe oder des Bundeskriminalamts in Wiesbaden. Ist damit die Entscheidung nur noch eine Formsache? Nein, sagt, Möllers Hamburger Anwältin Anke Brenneke-Eggers, „ich kann überhaupt nicht abschätzen, wie das Verfahren ausgeht.“

In der Tat, die Stolpersteine, formaler und inhaltlicher Art sind längst nicht alle ausgeräumt. Erstens: Was mutet das Gericht Irmgard Möller zu, und wie stellt sie selbst ihre gewandelte politische Einstellung bei der Anhörung dar? In welcher Form soll sie ihre „Ungefährlichkeit“ noch einmal nachweisen? Zweitens: Das endlose „Gewürge“ (Möller) um das „Gutachten eines Sachverständigen“, das der zitierte Paragraph der StPO zur Voraussetzung einer Haftentlassung macht, ist noch nicht zu Ende. Üblicherweise, bei nicht politisch motivierten Straftaten, bestellt das Gericht einen Psychiater, was die Gefangenen der RAF zunächst ablehnten. Schließlich verständigte man sich auf ein „Gutachten nach Aktenlage“. Als der Psychiater sich nicht in der Lage sah, auf dieser Grundlage zu gutachten, fand sich Irmgard Möller zu einem Gespräch bereit. Die Expertise blieb dennoch aus. Nun nimmt der Sachverständige an der Anhörung vor Gericht teil und äußert sich, so die Hoffnung der Möller-Anwältin, danach. Drittens: Die Staatsanwaltschaft Heidelberg, die 1978/79 die Anklage vertrat, muß zur Entlassung ja sagen. Im vergangenen Jahr empfahl sie weitere Haft wegen der Haltung der Gefangenen zur Frage des psychiatrischen Gutachtens. Alles zusammen macht es unwahrscheinlich, daß Irmgard Möller – was theoretisch möglich wäre – schon heute nachmittag eine freie Frau ist.

Dabei besteht von den Gefangenen bis zu den Staatsschutzbehörden in einem Punkt Einigkeit: Die Entscheidung der Lübecker Richter setzt, so oder so, ein Signal. Sie strahlt aus auf das Schicksal anderer Langzeitgefangener auf der Warteliste, die von Irmgard Möller angeführt wird. Sie ist die am längsten einsitzende Frau in Deutschland. Mehr als 15 Jahre, die das Gesetz als Mindesthaftdauer für die vorzeitige Entlassung bei Lebenslänglichen vorschreibt, sitzen außer Möller: Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe und Lutz Taufer (alle 19 Jahre), Knut Folkerts (17 Jahre), Christine Kuby (16 Jahre), Stefan Wisnewski (16 Jahre) und Rolf Heissler (15 Jahre).

Irmgard Möller ist die einzige Überlebende der Todesnacht vom 17/18. Oktober 1977 in Stammheim. Bis heute bestreitet sie die amtliche Version, wonach das RAF-Führungstrios Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der Nacht nach dem Scheitern der Schleyer-Entführung und der Befreiung der Geiseln des Lufthansa-Jets „Landshut“ in Mogadischu in ihren Zellen Selbstmord begingen und ihr eigener Versuch scheiterte. Die tiefen Schnittwunden in ihrer Brust habe sie sich seinerzeit nicht selbst beigebracht.

Zu lebenslanger Haft verurteilte das Oberlandesgericht Heidelberg Irmgard Möller 1979 aufgrund der Aussagen eines „Kronzeugen“, den es damals offiziell noch gar nicht geben konnte. Angeblich war sie beteiligt an einem RAF-Anschlag auf das Hauptquartier der US-Army in Heidelberg, bei dem im Mai 1972 drei Soldaten getötet wurden. In der Kommandoerklärung hieß es, „gegen die Massenmörder von Vietnam“ seien „Bombenanschläge gerechtfertigt“. Das ist Geschichte. Für Irmgard Möller ist sie noch nicht zu Ende. Gerd Rosenkranz