„Mangelnde politische Sensibilität“

■ Übergriffe von Polizisten gegen Ausländer werden von der Senatsverwaltung für Inneres erneut bagatellisiert

Die Ermittlungsverfahren gegen Berliner und Brandenburger Polizeibeamte, denen in 42 Fällen die Mißhandlung von vietnamesischen Zigarettenverkäufern vorgeworfen wird, haben gestern zur Suspendierung eines 34jährigen Polizisten aus Bernau geführt. In Berlin ermittelt die Polizei gegen Unbekannt. Da bislang weder Anzeigen der Betroffenen noch die Gedächtnisprotokolle des deutsch-vietnamesischen Freundschaftsvereins „Reistrommel“ vorliegen, stützen sich die Ermittler ausschließlich auf Presseberichte.

Der Staatssekretär der Senatsverwaltung für Inneres, Armin Jäger, versuchte die Vorwürfe im Ausländerausschuß des Abgeordnetenhauses auf kleiner Flamme zu kochen. Er forderte die Betroffenen lediglich auf, derartige Vorfälle der Polizei zu melden und den Ermittlungsbehörden die Gedächtnisprotokolle „zur Verfügung zu stellen“. Außer der – routinemäßigen – Zusicherung, daß die Staatsanwaltschaft sich um Aufklärung aller Vorwürfe bemühen werde, erschöpfte sich Jägers Beitrag in der kleinteiligen Korrektur der Presseberichte. So habe sich ein Vernehmungsraum der Polizei nicht im Kellergeschoß, sondern im Hochparterre befunden.

Der ausländerpolitische Sprecher der SPD, Eckhardt Barthel, warf Jäger daraufhin „mangelnde politische Sensibilität“ vor, zumal solche Vorwürfe gegen Polizeibeamte in der Vergangenheit bereits häufiger erhoben worden seien. Der bündnisgrüne Abgeordnete Ismail Kosan erklärte: „Innensenator Heckelmann macht gegen Vietnamesen Stimmung, einige seiner Beamten verprügeln sie.“ Es sei „längst fällig, daß sich die Berliner Polizei von rassistischen Beamten trenne“.

Doch auch bei früheren Anlässen hat Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) Vorwürfe gegen Polizisten wegen ausländerfeindlicher Übergriffe stets zurückgewiesen. „Bisherige Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte haben Behauptungen, es gäbe rassistische und kriminelle Übergriffe seitens Berliner Polizeibeamter, in keinem Falle bestätigt“, erklärte Heckelmann im Februar 1993. Filmberichte des ZDF- Magazins „Kennzeichen D“ über Polizeiübergriffe auf Ausländer bezeichnete sein in die Schlagzeilen geratener Pressesprecher Hans-Christoph Bonfert im September 93 als „tendenziöse und verzerrende Darstellung“ und „schlichtweg falsch“. Bonfert mußte allerdings zugeben, daß zu diesem Zeitpunkt 17 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen des Vorwurfs der Mißhandlung von Ausländern anhängig waren. Wie diese Verfahren ausgegangen sind, war gestern nicht in Erfahrung zu bringen. „Kennzeichen D“ kam damals zu dem Fazit: So viele Polizeiübergriffe auf Ausländer wie in Berlin werden aus keinem anderen Bundesland bekannt. Ein Ansteigen der Übergriffe in den letzten zwei Jahren haben Organisationen wie amnesty international, SOS Rassismus, die Liga für Menschenrechte sowie das Institut für Bürgerrechte und Öffentliche Sicherheit übereinstimmend festgestellt. SOS Rassismus dokumentierte für das Jahr 1989 zwei Fälle, 1990 einen und 1991 vier Fälle. 1992 registrierte die Organisation 24 und bis Dezember 1993 sogar 33 Übergriffe. win