Pan Tau ex Machina

■ Die böhmische Antwort auf Pinewood: Das Prager Babelsberg schält sich aus dem sozialistischen Ei - geht die tschechische Filmkunst dabei über den Jordan?

Die „samtenen Revolutionäre“ von 1989 sind heute Millionäre. Vaclav Marhoul sagt das nicht mehr mit der Maximalüberzeugung, mit der er noch vor einem Jahr Furore machte. Da saß der 33jährige Medienmogul und Chef der Prager Barrandov-Studios in den frisch gestrichenen Büroräumen und glaubte an den Stoff jener Wirtschaftspublikationen, die sich in seinen Bücherregalen türmten. Darunter: „Fataler Abzug – Wie Hollywood wirklich Geschäfte macht“. Ganz klar, das kränkte das Selbstbewußtsein des nationalen Filmzentrums. Immerhin hatte man hier unter den Bedingungen des Stalinismus einen Mythos geschaffen. Nicht nur die legendären Kinder- und Trickfilme wurden in Barrandov produziert. Auch Milos Formans lautes „Einer flog über das Kuckucksnest“.

Marhoul träumte, wie er sagte, von der böhmischen Antwort auf Pinewood und Paramount, von einem gigantischen Filmpark nach amerikanischem Vorbild. In Barrandov waren die Weichen voll auf Erfolg gestellt: Verschiedene US- Produzenten und Schauspieler lockte Marhoul an die Moldau. Dort nutzten sie Studios und Technik und hielten Seminare über die Visionen des Films im Jahre 2000 ab. Marhoul gründete im Rahmen der Privatisierung der 1931 von den Brüdern Milos und Vaclav Havel erbauten Barrandov-Studios auch die Firma „Cinepont“. Er setzte auf die Rezepte der Marktwirtschaft. Die Zahl der Arbeiter und Angestellten reduzierte er von 1.700 auf 500 Personen. Binnen drei Jahren befreite der Blitzkarrierist das ruhmreiche Unternehmen von seinen Schulden (zwölf Millionen Mark). „Barradov hätte die Nummer eins der europäischen Produktionsstätten werden können“, sagt Marhoul heute und weist die in den letzten Wochen und Monaten lauter gewordene Kritik an seiner Person ab. Auch die alte Garde der tschechoslowakischen „Neuen Welle“ zog mit bitteren Vorwürfen gegen ihn zu Felde, darunter Vera Chytilová und Jiři Krejčik. Seine Art Filmgeschäfte zu machen bedeute das Ende des tschechischen Genres.

Unterm Marlboro-Stern

Die Filmrevolution hat ihr Kind gefressen. Vaclav Marhouls amerikanischer Traum manifestiert sich lediglich noch in seiner Visitenkarte: ein rotweißes Marlboro- Emblem mit Name und Adresse. Unlängst nämlich kickten ihn die Anteilseigner aus dem Direktorensessel. Jindrich Goetz heißt sein Thronfolger, ein Mann, den Marhoul einst in die Leitung des Hauses geholt hatte und der sich nun an der Verschwörung gegen ihn beteiligte. Wer den 55jährigen Brutus in Barrandov besucht, bekommt keine Regale mit Wirtschaftsbüchern zum Thema Film zu sehen. Stattdessen hat Goetz zahlreiche Schwarz-Weiß-Prints alter tschechischer Streifen auf sein Sidebord drapiert. Auch sie zeigen, daß der neue Chef vorwärts in die Vergangenheit zielt. „Wir möchten“, sagt er, „in die Funktion der Filmproduzenten zurückkommen.“

Um den tschechischen Film ist es still geworden. Zumindest in Barrandov. In der Zeit zwischen 1990 und 1992 sank die Produktion von 30 auf sechs Filme im Jahr. Die zwei einzigen Projekte des Vorjahres sind noch nicht einmal abgeschlossen. Für das 80-Millionen- Kronen-Projekt „Ich bediente den König von England“ des tschechischen Erfolgsautors Bohumil Hrabal werden erneut Investoren gesucht. Genau da liegt ein Problem: Die tschechische Filmförderung darbt, seitdem sie nicht mehr aus dem Staatsbudget, sondern mit einem Aufschlag auf die Kinokarte finanziert wird. Denn die Kinos des Landes sterben. Gemunkelt wird, daß bis zu neun Zehntel aller Häuser aus der Zeit vor 1989 dicht machen. Mit dem Einzug des Kapitalismus hat sich auch die Nachfrage des tschechischen Kinopublikums geändert. Auf diese Weise werden tschechische Streifen von amerikanischen Kassenknüllern aus heimischen Kinos verdrängt; gleichzeitig werden sie durch deren Einnahmen finanziert. Selten avanciert ein tschechischer Film wie beispielsweise „Šalky leta“ zu einem nationalen Ereignis, der aber das westliche Publikum auf der Berlinale 1993 nicht überzeugen konnte.

Da keine neue „Neue Welle“ in Sicht ist, besinnt man sich stolz auf alte Erfolge, auf jenes Gemisch aus Cinemaverité und skurriler Burleske: Im vergangenen Herbst etwa wurde auf einem kleinen Bahnhof in der Nähe von Prag, dem Drehort von Jiři Menzels Erfolgsfilm „Scharf verfolgte Züge“ (1967), eine Erinnerungsparty gegeben. Die Presse feierte groß mit – als sei die Film-Ikone gerade erst enthüllt worden.

„Was heißt denn heute noch tschechischer Film?“, fragt Marhoul provokativ und moniert im gleichen Atemzug den Mangel an guten Skripten. „Die tschechischen Autoren“, meint Marhoul, „verfassen Skripte, die das Volk nicht versteht. Sie schreiben einfach nicht lebensnah“.

So gesehen wundere es kaum, daß die Amerikaner mit ihren Soap-Operas auf dem Vormarsch seien. Mit Eigenproduktionen sei einfach kein Geld zu verdienen und wenn man sich in Prag den US- Einflüssen sperre, würde der Konkurrenzbetrieb Babelsberg den Rahm abschöpfen. Schließlich könne Prag mit niedrigen Produktionskosten und authentischen locations der zwanziger Jahre locken. Vier bis fünf gute Eigenproduktionen, „wie in den Niederlanden“, reichten völlig aus.

Natürlich möchte man keinen neuen Filmvorhang in Richtung Westen ziehen, sagt der neue Generaldirektor Goetz. Erfahrungen mit ausländischen Produktionen hat er zuhauf. Für Josef Vilsmeiers Filme „Ramadama“ und „Stalingrad“ – beide wurden in Barrandov gedreht – arbeitete Goetz als Art-Direktor. Was ihn von seinem Vorgänger unterscheiden wird?

„Alle Fragen“, sagt er, „kann ich nicht genau beantworten.“ Im Gegensatz zu Marhoul, dem seine Innovationsvorstellungen gerade so aus dem Mund sprudeln, wirkt Goetz wie ein verträumter Tanzbär. Von einem gigantomanischen Hollywood an der Moldau träumt er jedenfalls nicht. „Da fehlt das Geld“, sagt Goetz, „und deshalb wird vorläufig auch kein Filmpark entstehen.“ Gegen Fernsehserien und Spielshows habe er nichts.

Doch Barrandov müsse sich wieder dem tschechischen Film und den heimischen Regisseuren widmen. So, wie es die etwa 800 privaten Schmal-Film-Studios in der tschechischen Republik tun. In wenigen Jahren, sagt Goetz, sollen Trick- und Kinderfilme den weltweiten Ruhm der siebziger Jahre erlangen. Ob Goetz ein neuer „Pan Tau“ gelingt? Tomas Niederberghaus