Erstaunlich

■ betr.: „Alles Menschliche auf Null reduziert“, taz vom 17.6.94

Es ist mal wieder erstaunlich: Männer scheinen geschlechtslose Wesen zu sein. So haben die NS- Opfer erst dann ein Geschlecht – und eine Identität –, wenn Frauen ins Blickfeld gerückt werden. Die taz verwechselt in ihrer Berichterstattung den unbedingt notwendigen geschlechtsdifferenzierten Blick mit einem, der Frauen mit Geschlechtlichkeit assoziiert. Um die „Überlieferung der Opfer als gesichts- und geschlechtslose Masse“ zu durchbrechen, müssen dagegen auch männliche Opfer ihrer geschlechtlichen Identität zugeordnet werden. Eine solche Vernachlässigung perpetuiert die Vorstellung von Männern als abstrakter ungeschlechtlicher Norm und Frauen als geschlechtlicher Besonderheit. Und das kann ja wohl nicht Sinn der wiederaufgelegten Frauenseite sein. Sonja Wölte, Frankfurt/Main