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■ Das PortraitEin Schlachtroß geht

Ein Schlachtroß der hessischen Sozis geht in den Ruhestand. In den vorzeitigen. Es gebe einen Punkt, bilanzierte gestern Herbert Günther in Wiesbaden, „wo jedes politische Kalkül ein Ende hat und der Mensch vorgeht“.

Recht hat er, auch wenn es für die hessische Landesregierung und die SPD bitter ist. 15 Jahre lang ackerte der Mann mit Deutschlands schwersten Tränensäcken, als Justiz- oder Innenminister, jetzt muß er aufgeben, denn „mir bleibt keine andere Wahl“. Nicht die Frankfurter Polizisten, die trotz Ministererlaß sich weigerten Namensschilder auf der Brust zu tragen, nicht die Grünen, die ihm vorwarfen, zu lau für einen Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge zu kämpfen, setzten Herbert Günther schachmatt, sondern sein Herz. Seit einem Verkehrsunfall vor einem Jahr, stand er unter ständiger ärztlicher Kontrolle, jetzt steht es ernst um die Gesundheit.

Mit Günthers Abtritt verliert die Partei und die als schwach geltende Rot-Grün- Koalition eine ihrer profiliertesten Figuren. Im Kabinett war er mit seinen 65 Jahren nicht nur der Senior, sondern auch der Dienstälteste. 1974 wurde er zum erstenmal hessischer Justizminister. Damals kämpfte der gebürtige und auch der politischen Sozialisation nach coole Nordhesse verbissen gegen den südhessischen linken Unterbau aus Rüsselsheim. Unter Holger Börners Rot-Grün- Ära – nordhessische Solidarität und Parteidisziplin ist eben was – ließ er sich sogar breitschlagen, erneut Justizminister zu werden. Obwohl er bei den Linken als „Pro- Startbahn-West-Militanter“ galt, ließen die Grünen ihn ziemlich ungezaust. Respekt für den Mann, der wie ein Foto: Karin Hill

Grandseigneur wirkte, aber bodenständig bis in Mark war, blieb immer. Als Hans Eichel 1990 Ministerpräsident wurde, bot er ihm erneut den Posten als „Polizeiminister“ an. Günther zauderte etwas, denn schon wieder Rot-Grün, das schlug auf den Magen. Aber er machte es – und sogar „integrierend“. So jedenfalls gestern sein Chef. Er arrangierte sich mit Joschka Fischer genauso pragmatisch, wie der mit ihm. Den Verbalnoten der Flüchtlingshilfegruppen im Lande, „Günther treffe in Bierzelten immer den rechten Ton“, folgte nicht ein einziges Mal koalitionsinterner Protest. Heute will der Ministerpräsident den Nachfolger vorstellen, im Gespräch ist der bisherige Landtagspräsident Karl Starzacher. In Günthers Fußstapfen kann sowieso niemand treten, Schlachtrösser sterben in der Politik aus. Anita Kugler

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