Europäischer Gipfel mit einem Russen

Die Regierungschefs der Europäischen Union unterschreiben heute auf Korfu den Partnerschaftsvertrag und feiern Österreichs Beitritt / Die Nachfolge von Delors ist umstritten  ■ Von Alois Berger

Ein Hauch von Wiener Kongreß weht durch die Gemächer der alten Kreuzfahrerburg St. Michael und St. Georg auf Korfu. Nicht nur, weil die Österreicher gleich mit Präsident, Kanzler und Außenminister Einzug halten in den erlauchten Kreis der europäisch unierten Staats- und Regierungsfürsten. Auch die Norweger, die Finnen und die Schweden sind mit großem Gefolge angereist. Und zum ersten Mal darf auch der russische Herrscher wieder im offiziellen Teil mitreden.

Die alten und die neuen Großmächte des Kontinents werden heute einige Papiere unterschreiben, die viel mit Bündnispolitik zu tun haben. Wortreich werden sie das Ende der Teilung Europas feiern und die Gläser heben auf die neue Partnerschaft zwischen den westeuropäischen Hauptstädten und dem früheren Reich des Bösen. Mit heiterem Großmut werden sie darüber hinwegblicken, daß aus dem einst so gefürchteten Rußland heute ein etwas abgerissenes Land geworden ist, das nun wegen seiner Armut gefährlich ist. Dafür wird Jelzin ausnahmsweise nicht erwähnen, daß er lieber strenge Mienen und einen großmütigen Vertrag gehabt hätte.

Danach könnte der Kongreß eigentlich tanzen gehen. Was in Korfu besiegelt werden wird, war im Vorfeld längst ausgehandelt worden: Österreich, Schweden, Norwegen und Finnland sind von jetzt an EU-Mitglieder unter Vorbehalt, Rußland ist vertraglich anerkannter Handelspartner. Wäre da nicht das Drängen aus Brüssel, die Fürsten sollten endlich ihren neuen Metternich ausloben. Delors' Amtszeit ist beinahe abgelaufen, und wenn die Spitze der Kommission rechtzeitig zum Jahreswechsel besetzt werden soll, muß jetzt darüber geredet werden.

Heute abend, nach dem Ende der Tafelrunde, werden die Fürsten zwei ihrer edelsten vor die Tür schicken: zwei fast gleichwertige Kandidaten, Jean-Luc Dehaene und Ruud Lubbers, der Belgier und der Niederländer, beide oberste Untertanen ihrer KönigInnen, beide von Jesuiten erzogen und in christlichen Parteien verankert, beide in der Kunst des Regierens mit widerstrebenden Partnern geübt. Doch beide haben auch Gegner in der Runde, und so könnte es passieren, daß sich die Staatsmänner und -frauen in Korfu doch nicht einigen und die Entscheidung aufschieben.

Für den Rest des Wochenendes hat Griechenland eine Liste von 28 Themen herumgereicht. Das geht von den Beitrittswünschen der Nachbarinseln Malta und Zypern, die den Hausherren besonders am Herzen liegen, über eine gemeinsame Initiative von Kohl und Mitterrand gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bis zu den Beziehungen der Europäischen Union zu Mexiko. Auch eine Einschätzung der Lage in Algerien und die Schiffssicherheit bei Gefahrguttransporten stehen auf der Liste. Was letztendlich herausgegriffen und angedacht wird und was aus Zeitgründen unter den Tisch fällt, das hängt wesentlich von Lust und Laune der Tischgesellschaft ab. Normalerweise werden solche Gipfel, die die Krönung der halbjährigen Ratspräsidentschaft eines Mitgliedslandes darstellen, für strategische Planungen genutzt. Die Regierungschefs versuchen, anstehende Großprobleme zu lösen und die groben Linien für die nächste Zukunft abzustecken. Die Gewichtung der Tagesordnung liegt im Ermessen des Gastgebers. Der griechische Veranstalter, der noch bis Ende des Monats den Ratsvorsitz führt, wollte die Gäste offenbar nicht zu sehr gängeln.

Um das Thema Makedonien werden die Gipfelgäste einen dezenten Bogen machen. Korfu sei nicht der geeignete Ort für dieses Problem, heißt es in diplomatischen Kreisen. Zwar würgt Griechenland nach wie vor seinen nördlichen Nachbarn mit einer Handelsblockade, und nach wie vor gibt es niemanden in der EU, der die griechischen Ängste vor dem benachbarten Kleinstaat verstehen, geschweige denn nachvollziehen könnte, aber das Verfahren liegt beim Europäischen Gerichtshof, und solange der nicht entschieden hat, gilt offensichtlich die Unschuldsvermutung.

Kleine Scharmützel wird es um die geplanten grenzüberschreitenden Verkehrsprojekte der EU geben. Kommissionspräsident Jacques Delors sieht eine Finanzierungslücke, die er mit Krediten schließen will. Der britische und der deutsche Finanzminister haben bereits entsetzt aufgeschrien. Sie befürchten, daß der Kommissionspräsident zum Abschluß seiner Amtszeit ein neues Kapitel aufschlagen will. Wenn die Kommission selbständig Kredite aufnehmen darf, dann kann sie künftig ihren Haushalt ausweiten, ohne daß die nationalen Regierungen das noch im Einzelfall kontrollieren können. Wenn Delors auf der Kreuzfahrerfestung St. Michael und St. Georg einen neuen Vorstoß wagt, wird er auf wild entschlossene Abwehrreihen treffen. Aber vielleicht ist es auch nur heiß in Griechenland, und die Regierungschefs bleiben beim gemütlichen Teil hängen.