Windkraft: Aufwind mit Turbulenzen

Die Windenergiebranche boomt, aber die Euphorie hält sich in Grenzen: Stromversorger klagen über die Kosten, Naturschützer über die „Vogelscheuchen“  ■ Aus Wilhelmshaven Gerd Rosenkranz

Die Branche boomt trotz Wirtschaftskrise: Traumhafte Zuwachsraten, jährliche Kostenabschläge von zehn Prozent, technische Innovationen wie vom Fließband. Bei der „Deutschen Windenergiekonferenz '94“ in Wilhelmshaven gestehen die Insider freimütig, daß die Dynamik des Konjunkturverlaufs der vergangenen Jahre auch sie überrascht hat.

In Zahlen sieht die Entwicklung so aus: Ende 1990 waren in Deutschland 64 Megawatt Windkraft installiert, 1992 waren es 183 Megawatt, 1993 rund 330 und Ende dieses Jahres rechnet das „Deutsche Windenergie Institut“ (DEWI) mit über 500 Megawatt. Das Land Niedersachsen will bis zum Jahr 2000 auf 1.000 Megawatt installierte Windstromleistung kommen, Schleswig-Holstein ebenso.

Gleichzeitig stürzten die Preise für die Windmühlen allein zwischen 1991 und 1994 um etwa 35 Prozent, ein Effekt, der auf die anlaufende Serienproduktion, vor allem aber auf den Trend zu immer größeren Maschinen zurückzuführen ist. Heute bilden 500- bis 600-Kilowattanlagen die Standardgröße. Sie kosten knapp unter einer Million Mark und rechnen sich damit an den windgünstigsten Standorten in Küstennähe allein aufgrund der gesetzlichen Einspeisevergütungen und ohne weitere Förderung. Gegenwärtig laufen bereits mehrere Demonstrationsanlagen der 1-Megawatt-Klasse, das Bundesforschungsministerium fördert den Bau von vier neuen Prototypen.

Der Trend zum großen Flügel ist auch ökologisch vernünftig, weil auf diese Weise verfügbare Standorte besser ausgenutzt werden. So produzieren schon heute deutsche Windmüller wesentlich mehr Strom mit wesentlich weniger Anlagen als die dänischen Nachbarn, die viele Jahre die weltweite Entwicklung in Sachen Windenergie anführten. Die Deutschen profitieren, sagt DEWI-Chef Jens Peter Molly, vom „Vorteil der späten Geburt“.

Trotzdem kommt unter den Windfreaks Euphorie nicht so recht auf. Allerlei Unwägbarkeiten könnten den Boom früher stoppen, als mancher sich vorstellen kann. Förderprogramme, die auch weniger ideale Windenergie- Standorte im Binnenland attraktiv machen könnten, sind nicht in Sicht.

Jürgen Heinemann vom Bundesforschungsministerium ließ in Wilhelmshaven keinen Zweifel daran, daß Subventionen zurückgeschraubt werden sollen. Deshalb wird sich Windkraft weiter an der Küste konzentrieren – und den Konflikt mit Naturschützern verschärfen, die gegen die Verschandelung der Landschaft und die Störung von Vogelpopulationen durch die Windräder protestieren. Gleichzeitig müssen die Stromversorger der Küstenländer überdurchschnittlich für die Einspeisung des umweltfreundlichen Windstroms löhnen und ihre Netze entsprechend einer zunehmend dezentralen Struktur erweitern. Auch das kostet.

Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) nannte deshalb als Ziel der betroffenen Länder, die Folgekosten für den umweltgerecht erzeugten Strom „auf alle Stromverbraucher in Deutschland zu verteilen“. Möglicher Hebel wäre die 1995 in Bonn anstehende Novellierung des „Stromeinspeisegesetzes“. Bisher gibt es eine analoge Umlage von Kosten eines einzelnen Energieträgers auf alle Verbraucher nur im Fall der klimabelastenden Steinkohle in Form des „Kohlepfennigs“.

Die Prognosen über den Anteil, den die Windenergie zum künftigen Strombedarf der Küstenländer beisteuern kann, gehen weiterhin weit auseinander. Molly nannte eine von den Ländern angestrebte Sollzahl von knapp fünf Prozent für das Jahr 2000.

Er erinnerte aber auch daran, daß Greenpeace in seiner kürzlich veröffentlichten Studie zum Atomausstieg von 35 Prozent im Jahr 2010 ausgeht. Statt 4.700 Windkraftwerke müßten dafür (laut Greenpeace) 10.900 aufgestellt werden. Auch das hält der DEWI-Chef grundsätzlich für möglich. Allerdings nicht, solange Naturschützer gleichzeitig den Küstenbereich und die See (Off- shore-Anlagen) als Standorte aus Umweltgründen weitgehend ausschließen.