: Heilung ohne Leistungsdruck
■ Shiatsu-Behandlung geht von Energiebahnen im Körper aus, die durch sanften und kraftlosen Druck beeinflußt werden / Geprägt durch das Prinzip von Yin und Yang
Auf der Skipiste erregte Matthias Wieck Aufsehen: Ein Kind hatte sich den rechten Fuß verdreht, Wieck bearbeitet das linke Handgelenk. Der Schmerz habe schnell nachgelassen, das Kind sei bald darauf wieder Ski gelaufen, versichert der Shiatsu-Ausbilder; mit einer herkömmlichen Behandlung wäre das kaum zu schaffen gewesen. Er erklärt den Erfolg damit, daß er an anderer Stelle die betroffene Energiebahn massiert habe. Denn entgegen der üblichen Schulmedizin geht Shiatsu nicht davon aus, daß Probleme jeweils nur am schmerzenden Ort auftreten und therapierbar sind.
Zwölf entscheidende Energiebahnen, sogenannte Meridiane, durchfließen gemäß der Idee des Shiatsu in sechs Funktionskreisen den menschlichen Körper. Was diese Meridiane genau sind, sei unbekannt, gesteht Wieck unumwunden ein: „Alle bisherigen Theorien, etwa daß es die Blutbahnen seien, die Muskeln oder die Diffusion von Ionen-Ladungen, konnten bisher nicht nachgewiesen werden.“ Daß es die Meridiane aber gibt, steht für den Leiter des Zentrums für chinesische Medizin am Rosenthaler Platz in Mitte fest.
Wichtig ist das für die Shiatsu- Therapie keineswegs nur bei der Schmerzbehandlung. Die Massagetechnik, der Begriff Shiatsu kommt aus dem Japanischen und heißt Fingerdruck, soll auch bei psychischem Leiden helfen. „Wenn jemand seinen aufgestauten Ärger nicht richtig loswerden kann und daher mit sich und seiner Situation nicht mehr klarkommt, stellen wir uns das wie einen Stein in einem Fluß vor“, nennt Matthias Wieck ein Beispiel: Der Stein verhindere die normale Fließbewegung und verursache Schwierigkeiten, „er muß aus dem Weg“.
Folglich müsse der Fluß entweder an der schwachen Stelle, bildhaft hinter dem Stein, angeregt werden, was als tonisieren bezeichnet wird. Genauso könne an der energievollen Stelle sediert, also verteilt und zerstreut werden. Gemäß dem Prinzip von Yin und Yang müßten stets die beiden Seiten, die dunkle, kalte, ruhige und weiche einerseits, die warme, bewegte und sich ausdehnende andererseits, im Gleichgewicht sein, so Wieck, dann fließe die Energie, „der Mensch fühlt sich gut“.
Positiver Einfluß auf die Meridiane sei verkrampft aber nicht möglich, schärft Matthias Wieck seinen Schülern in der rund dreijährigen Ausbildung ein: „Wir sind gewohnt, alles mit Muskeln zu tun“, weiß er um die Schwierigkeiten; ständig werde gekämpft, was auch den Patienten unter Leistungsdruck setze. Im Shiatsu sei hingegen Entspanntheit unerläßlich, da der Druck sonst Schmerzen verursache. „Ein harter Daumen wirkt wie ein Messer“, sagt Wieck. Ziel sei es, das Zentrum des Körpers, das etwa zwei Finger breit unter dem Nabel liege, über den Druckpunkt zu verlagern und so nur das eigene Gewicht zu nutzen.
„Ich kann manchmal selber nicht glauben, daß das wirken soll“, beschreibt Matthias Wieck die kraftfreie Behandlung, „ich mache ja praktisch nichts.“ Auf dieses nur auf die Muskeln bezogene Nichtstun und die kaum mögliche Meßbarkeit des Erfolges führt er zurück, daß Krankenkassen für Shiatsu im Normalfall nicht aufkommen. Nur falls ein Hausarzt über lange Zeit erfolglos behandle, könne er eine Shiatsu-Therapie verschreiben. Die rechtliche Gleichstellung mit Krankengymnasten und die Anerkennung des Berufs ist daher des Ziel der Shiatsu-Therapeuten – natürlich nur mit sanftem Druck. Christian Arns
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