„Spannendes Risikounternehmen“

■ Eine Arbeitslosenversammlung der besonderen Art tritt am 1. Juli im Friedrichstadt-Tränenpalast zusammen

Aus Enttäuschung über die hohle Programmatik, die die etablierten Parteien im „Superwahljahr“ zur Bekämpfung der nach wie vor steigenden Arbeitslosigkeit anzupreisen gewagt haben, aber auch aus Ärger über die Einfallslosigkeit der Einheitsgewerkschaften, die immer mehr zu Lobbyvereinen verkommen, haben einige kleine Foren der DDR- Staatsbürgerbewegung aus dem „Haus der jungen Demokratie“ (HdjD) rund 22.000 Mark lockergemacht und das Geld mehreren hochbeschäftigten, aber auch arbeitslosen Experten für die Ausarbeitung von drei bis fünf konzeptionellen Ideen in die Hand gedrückt. Erwähnt seien der Kali- und Bischofferode-Experte Peter Arnold, der Hochschullehrer Peter Grottian und die Ex-DDR-Ministerin Tatjana Böhm. Am kommenden Freitag werden sie, zusammen mit dem Arbeitslosenverband und dem Verbund für Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaften, dazu im Tränenpalast eine Konferenz veranstalten. Wozu sie vorab schon auf einer Pressekonferenz sowie mit einigen „kreativen Funkspots“ warben.

Die meisten ihrer sehr konkreten Arbeitsplatzschaffungsideen (zum Beispiel: „Arbeitsplätze auf Kredit – Steuerbürger schaffen direkt Arbeitsplätze – Arbeit gegen Arbeit – Tausch“) haben die Eigeninitiative der Betroffenen zur Voraussetzung. Grottians Wort vom „spannenden Risikounternehmen“, das sich erst einmal nur auf ihr Arbeitsplatzschaffungs- „Projekt“ selbst bezog, gilt deswegen um so mehr und erst recht auch für diejenigen (Arbeitslosen), die ihre Überlegungen umsetzen sollen – ihnen werden dabei nämlich quasi unternehmerische Fähigkeiten abverlangt. Damit sieht es aber zur Zeit gar nicht gut aus: Wie eine Untersuchung vor kurzem gezeigt hat, würden sich zwar 73 Prozent aller türkischen, aber nur acht Prozent aller deutschen Berliner wirklich selbständig machen wollen.

Für die große Frontstadt-Masse, sofern sie von Staatsknete abhängig ist, sollte man sich deswegen eher um eine „Kultur der Erwerbslosigkeit“ (die Franzosen sprechen neuerdings von einer „Zivilisation der Arbeitslosigkeit“) bemühen: Statt im Jogginganzug Sat.1 zu glotzen, besinnungslos Bier in sich rein zu schütten und bienenfleißige Ausländer rassistisch anzupöbeln, weil deren Autos immer mittelklassiger aussehen, also vielleicht Bildungsforen, Tagesexkursionen und Kollektivrecherchen (repressive Sublimierung). Oder gleich Brigade-Partnerschaften mit russischen Mafiosi, polnischen Autoschiebern, bulgarischen Zuhältern und dem Tabak-Vietkong? Es gilt, wie gesagt, „spannende Risikounternehmen“ aufzutun. Gegen einen kerngesunden Klassenhaß ist dabei gar nichts einzuwenden, aber dieser ewige dumpfe Warenkorb- Neid und das häßliche Ressentiment gegen Autotelefonbesitzer bei all diesen verhinderten Langzeit-Konsumolzen ist ganz einfach unerträglich. Helmut Höge