Telekolleg

■ Vom Teleputern - Ein Seminar für Fortgeschrittene

„Mein Fernseher ist schon interaktiv. Ich kann ihn ein- und ausschalten“, lautet ein gerne kolportierter Scherz von RTL-Boß Helmut Thoma. Seriöser beschäftigt sich da schon eine Studie, die im Auftrag der MediaGruppe München (MGM) erstellt wurde, mit der neuen Technologie. Zum erstenmal werden alle Versuche mit interaktivem Fernsehen zusammengefaßt: vom Künstlerprojekt Van-Gogh-TV bis zum amerikanischen Computerspiel-Kanal Sega Channel. Da die Studie für MGM, die Vermarktungsfirma der Kirch- Sender Pro7, Kabelkanal und DSF, geschrieben wurde, liegt ein Schwerpunkt auf der Werbung, die die neuen Medien zu einem guten Teil finanzieren soll.

Zunächst schafft die Studie allerdings mal terminologische Klarheit: Auf dem einfachsten Level heißt interaktiv, daß auf mehreren Kanälen das gleiche Programm synchron ausgestrahlt wird, allerdings mit unterschiedlicher Ausprägung: der Zuschauer kann mit der Fernbedienung zwischen verschiedenen Kameraperspektiven, Sprachen oder Hautfarben der Darsteller wählen. Derartige Experimente sind schon von ARD und ZDF erprobt worden – mehr als ein Gimmick ist das aber wohl nicht.

Interessanter ist da schon Level zwei: Hier werden parallel zu dem Fernsehsignal digitale Zusatzinformationen ausgestrahlt. In Deutschland hat sich auf diesem Gebiet besonders Sat.1 hervorgetan. Wer sich mit der Fernbedienung von „Bonanza“ zum Videotext durchschaltet, dem erscheint über dem Fernsehbild ein transparenter „original Hoss-Hut“. Hinter diesem verbirgt sich eine Telefonnummer. Wer dort anruft und dann noch eine der anspruchsvollen Preisfragen richtig beantwortet („Wie heißt der kriegerische Indianerhäuptling, der den ,Pony Express‘ bedroht?“), kann eine Reise in die USA gewinnen. Außerdem können die Zuschauer selbst Kleinanzeigen im Videotext schalten.

Was wie bloße Spielerei aussieht, macht aus der Sicht der Sender sehr wohl Sinn: Solche Mätzchen dienen als Dressurübung für Fernsehzuschauer, die lernen sollen, mit ihrer Glotze zu kommunizieren. Sie werden dann wenig Schwierigkeiten haben, Level drei der Interaktivität zu erklimmen. Die Flimmerkiste wird zur virtuellen Videothek: Fernsehprogramme oder Filme können individuell abgerufen werden. Und hier scheinen bislang auch die Grenzen der Interaktivität zu liegen. Zwar gibt es in den USA und Kanada schon Feldversuche, aber das größte Projekt dieser Art, das von dem Medienkonzern Time Warner zusammen mit der Telefongesellschaft US West in Florida veranstaltet werden sollte, ist erst vor kurzem auf Eis gelegt worden.

Die endgültige Verquickung von Fernseher, Telefon, Computer und Videotext, der Level vier der Interaktivität, erfordert grundlegend neue Technologien: den sogenannten Teleputer, einen hochauflösenden Fernseher mit „Set top device“, einer Kombination aus Modem und Antennenkabel.

Damit wird es möglich, neben dem normalen Fernsehempfang auch Computerspiele auf die eigene Festplatte downzuladen, sich aus einer Datenbank seine eigene Tageszeitung zusammenzustellen oder per Fernbedienung eine Pizza zu bestellen – vielleicht aber auch einfach auf Zuruf, denn bis dahin soll die erste Generation sprachgesteuerter Empfangsgeräte lieferbar sein.

Trotz der technischen Probleme, so argumentiert die Studie, wird interaktives Fernsehen besonders für die werbungtreibende Industrie interessant werden: Zwar boomt der TV-Werbemarkt derzeit noch, aber bei Mediaplanern kommen zunehmend Zweifel auf, ob man mit Fernsehspots „seine“ Zielgruppe wirklich optimal erreicht.

Dagegen macht der Kabelkanal zur Zeit mit seiner interaktiven Gameshow „Hugo“ gute Erfahrungen, was die werbliche Umgarnung von Teenagern betrifft: Die Sendung, bei der die Zuschauer durch Anruf Einfluß auf den Spielverlauf nehmen können, dient auch der Adressengenerierung: Jeder Anrufer muß seine Anschrift angeben, die dann an die Firmen weitergegeben werden kann, die in der Sendung werben. So könnten zum Beispiel Coca-Cola oder Diesel mit Werbebriefen in einen direkten Dialog mit „ihrer“ Zielgruppe treten. Die neue interaktive Technologie dürfte also vor allem einem Zweck dienen: der möglichst effektiven Vermarktung und Distribution von Waren. Tilman Baumgärtel

Die „Marktanalyse Interaktives Fernsehen“ von Michael Hönig kann für schlappe hundert Mark bei der MediaGruppe München bezogen werden.