Ein Autor, der nicht verschwinden will

■ Heute vor zehn Jahren starb der Philosoph Michel Foucault in Paris an Aids

„Man kann sich eine Kultur vorstellen, in der Diskurse verbreitet oder rezipiert würden, ohne daß die Funktion Autor jemals erschiene. Ganz gleich welchen Status, welche Form und welchen Wert ein Diskurs hätte und welche Behandlung man ihm angedeihen ließe, alle würden sich in der Namenlosigkeit des Gemurmels entrollen.“ So spricht Michel Foucault 1969 vor der Französischen Gesellschaft für Philosophie; er ist Leiter des philosophischen Fachbereichs am soeben eingerichteten „Centre Universitaire Expérimental“ in Vincennes. Am Ende des Jahres wird er in den akademischen Olymp gewählt, das Collège de France. – Was an Foucaults Schreibweise bis heute fasziniert, ist nicht zuletzt ihre romantische Ironie; hier spricht jemand, der sich nie greifen lassen will und sich vor seinen vernünftigen Verfolgern hinter Paradoxa zurückzieht. Foucaults Utopie vom Verschwinden des Autors im „Gemurmel“ der Diskurse wurde später als Begründung „postmodernen“ Schreibens ausgelegt. Ihr Motiv ist aber ein durch und durch modernes. Man kann sie als buddhistische Reprise des romantischen Lobs der „Unverständlichkeit“ lesen. Friedrich Schlegel, der führende Kopf der deutschen Romantiker, hat den Typ von Genialität, den Foucault zelebrierte, zuerst verkörpert. „Ironie“, wußte Schlegel, „ist eine Form des Paradoxen.“

Ein schönes Paradox, dieser Auftritt Foucaults; der da die überholte „Funktion Autor“ verabschiedete, ist ja gerade deshalb der junge Held des akademischen tout Paris, weil er selber einen so ausgefeilten und unverwechselbaren Stil pflegt. Jeder kennt den elegischen Schlußsatz seines Hauptwerks „Les mots et les choses“ (1966), wonach „man sehr wohl wetten [kann], daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“.

Keiner hat nach Nietzsche so oft und so eindrucksvoll die rhetorische Figur des Abschiednehmens benutzt wie Foucault. Eine schöne „Ironie der Ironie“ im Schlegelschen Sinne: Michel Foucault, der große Elegiker der Philosophie, ist heute so präsent wie nie zuvor. Der Künder vom Tod der Funktion Autor ist zehn Jahre nach seinem Aids-Tod immer noch der Autor der Gegenwartsphilosophie. Wen wundert's: Er hat alle möglichen Tonlagen beherrscht, vom opaken, raunenden Ton des Frühwerks zum luziden Moralismus der späten Schriften. Nur gemurmelt hat er eben nie, und so ist sein Werk auch weiterhin nicht in Gefahr, im Rauschen der Diskurse unterzugehen. Jörg Lau