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Politische Wochenschau

Als der angeschlagene Rudolf Scharping am Dienstag abend vor seiner Hallenser Wiedergeburt die Presse zum Empfang lud, griff er in seiner Begrüßung tief in die Kiste der Bezze-Nostalgie. Auch anno '74 in der Bundesliga hätten die Lauterer zur Pause 1:4 im Rückstand gelegen, ehe sie zum legendären 7:4-Triumph über die Bayern ansetzen sollten.

Da röchelte die symbolische Kneifzange aber mächtig. Hieß der Held von damals nicht Klaus Toppmöller, der erst jüngst mit seinem jähen Trainersturz nach vielversprechendem Beginn eine andere Analogie zu Scharping nahezulegen schien? Das 7:4 blieb eine regionale Bundesliga-Sensation; denn weder wurde Kaiserslautern damit deutscher Meister, noch dribbelte der kleine Seppel Pirrung ins Team der Großen Helmut Schöns.

Mit seiner Vogts-Schelte war der Kandidat unnötig in eine altbekannte Dolchstoßlegende der Konservativen gelaufen. So geriet die Massenpartei ausgerechnet zur weltmeisterlichen Wahlkampfzeit ins Zwielicht eines Dissenses zum Fußballvolk. Unsachlich die Abwiegelung, daß man sich ebenso wie Rau statt Herzog auch Rehhagel statt Vogts hätte vorstellen können.

Bitte keine Rückkehr zur altlinken Verzagtheit gegenüber dem Volkssport Nr.1! Erinnert sei nur an 1966, als England Weltmeister wurde und Premier Harold Wilson seinen Parteirebell Tony Benn zur Seite nehmen mußte: „Glaub' mir, Tony, der World Cup ist auch gut für Labour – selbst wenn du Nobby Stiles nur für die besonders häßliche Fratze des Manchester-Kapitalismus halten magst!“

Vergessen sei auch nicht, daß die Italiener nicht nur unter dem Duce, sondern auch unter dem Antifaschisten Pertini, die Argentinier nicht nur unter dem Obristen Videla, sondern ebenso unter Menem und die Deutschen sowohl bei Adenauer, wie auch unter Helmut Schmidt Weltmeister wurden.

Mit dem schwachen deutschen Remis gegen Spanien konnten die Parteitagssozis von Halle am Morgen danach ganz gut leben. Weder waren Bertis Bäume in den Himmel gewachsen noch bestand Anlaß zu linker Schadenfreude. Und als der Kandidat dann auch noch das Mikrophon mit einer großen Rede bezwang, war es ganz so, als habe gerade Sechzig die Bayern besiegt. Norbert Seitz

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