Schachern um das Weltniveau

Ganz plötzlich hat sich die deutsche Regierung um den Sitz der Gatt-Nachfolgeorganisation WTO beworben  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Die Entscheidung über den Sitz der Welthandelsorganisation WTO ist zu einem Geschacher um die Privilegien für Diplomaten und internationale Beamte verkommen. Das ist der nahezu einhellige Eindruck der Journalisten nach der Genfer Pressekonferenz der Delegation der deutschen Bundesregierung. Wirtschaftsstaatssekretär Lorenz Schomerus wollte erläutern, warum sich Bonn um den Sitz der WTO bewirbt und damit aus heiterem Himmel einen Konkurrenzkampf mit der Schweizer UNO-Stadt Genf entfesselt. „Um den Sitz der Organisation, die sich der Liberalisierung des Handels und dem Abbau von Subventionen verschrieben hat, ist ein Subventionswettlauf entstanden“, kritisierten übereinstimmend die Korrespondenten zweier großer Wirtschaftszeitungen aus Deutschland und der Schweiz.

Die WTO soll zum 1. Januar 1995 das bisherige Sekretariat des „Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens“ (Gatt) ablösen. Die Bonner Regierung will ab diesem Zeitpunkt das Wasserwerk zur Verfügung stellen, das dem deutschen Bundestag bisher als Plenarsaal diente. Nach dem Umzug nach Berlin im Jahre 1998 soll die WTO dann das neue Parlamentsgebäude nutzen können. In das ursprünglich noch als Bürogebäude für Abgeordnete geplante neue Hochhaus am Rhein, das laut Schomerus „kurz vor der Fertigstellung steht“, sollen sowohl das WTO- Sekretariat wie nationale Delegationen einziehen. Dem WTO-Sekretariat und den Delegationen aus den am wenigsten entwickelten Ländern verspricht die Bonner Regierung Miet- und Kostenfreiheit. Ab sofort stehen 250 kostenlose Parkplätze zur Verfügung, später dann rund 800. EhepartnerInnen von WTO-Angestellten sollen freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Die WTO-Angestellten werden von der Einkommens-, Kraftfahrzeugsteuer und anderen Abgaben befreit. Bis zur UNO-Gehaltsstufe P-4 genießen sie diplomatische Privilegien: In einer „vergleichenden Synopse“ bewertet die Bundesregierung dieses Werbepaket als erheblich „besser“ und „präziser“ als die von der Schweizer Regierung angebotenen Bedingungen.

Seit unter den 120 Gatt-Mitgliedsstaaten Konsens über die Gründung der neuen Organisation herrscht, wurde allgemein davon ausgegangen, daß die WTO in das bisherige Genfer Gatt-Gebäude einzieht. Dafür sprechen zahlreiche politische und praktische Gründe. Zum einen die Nähe zur Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), zur UNO-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad) und anderen in Genf ansässigen internationalen Organisationen im Wirtschafts-, Handels- und Sozialbereich. Zum anderen unterhalten über 140 Staaten ohnehin eine Botschaft am Genfer UNO-Sitz mit für diese Organisationen zuständigen Experten. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt hatte sich erstmals auf der Gatt-Gipfelkonferenz in Marrakesch Mitte April auf gezielte Journalistenfragen hin zur Möglichkeit einer Bonner Bewerbung geäußert. Danach wurde ein Kabinettsbeschluß herbeigeführt und das Gatt-Sekretariat zur Verschiebung der ursprünglich auf den 18. Mai festgelegten Bewerbungsfrist auf den 15. Juni bewegt. Erst an diesem Tag traf die Bonner Bewerbung in Genf ein. Hintergrund ist möglicherweise die Tatsache, daß die Bonner Bewerbung um den Sitz der bislang in New York ansässigen UNO-Organisation für Entwicklung (UNDP) gescheitert ist. Wegen massiven Widerstandes unter den 2.000 UNDP-Mitarbeitern wurde das Thema stillschweigend von der Tagesordnung des UNDP- Exekutivrates Mitte Juni genommen.

Schomerus wollte allerdings glauben machen, es handele sich um eine langfristig vorbereitete Entscheidung seiner Regierung. Notwendiger als die Nähe des WTO-Sitzes zu anderen in Genf ansässigen internationalen Organisationen sei die Nähe zur OECD in Paris sowie zu Weltbank und Internationalem Währungsfonds, sagte der Staatssekretär.