Lebenskünstler in Billiglohn-Country

■ Bei Unternehmers träumt man von Sonderangeboten der Ware Arbeitskraft / Aber Niedrigtarife, Zeitlöhne und "schwarze" Löhne werden schon längst nach Marktlage gezahlt! Wer keinen Verdiener zur Seite ..

Bei Unternehmers träumt man von Sonderangeboten der Ware Arbeitskraft / Aber Niedrigtarife, Zeitlöhne und „schwarze“ Löhne werden schon längst nach Marktlage gezahlt! Wer keinen Verdiener zur Seite hat, ist arm dran.

Lebenskünstler in Billiglohn-Country

Berlin (taz) – Hans Peter Stihl, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), hat einen immer wiederkehrenden Wunschtraum.„Wir brauchen“, sagt er, „wieder die Möglichkeit, geringerwertige Arbeit auch geringer bezahlen zu können.“ Stihls Traum ist längst Wirklichkeit. Millionen von Beschäftigten arbeiten bereits zu Niedriglöhnen. „Der Markt wird immer weiter nach unten ausgequetscht“, stellt Reinhard Dombre fest, für Tarife zuständiger Referatsleiter beim Deutschen Gewerkschaftsbund.

Nicht nur Schwarzarbeit und Leiharbeit führen zum Lohndumping. Auch mit tariflichen Mindestlöhnen werden arbeitsame Ungelernte an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. „Wir haben schon Einkommen, wo man sich wirklich fragen muß, ob es sich lohnt, überhaupt noch zu arbeiten“, sagt Dombre. Immerhin 5,8 Millionen, also fast ein Viertel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Westdeutschland, haben keine Berufsausbildung (im Osten gibt es keine Vergleichszahlen). Diese Ungelernten laufen Gefahr, zeit ihres Lebens in den unteren Lohngruppen hängenzubleiben.

Besonders gefährdet: Frauen im Dienstleistungssektor. Auffüllerinnen und Etikettiererinnen in Supermärkten, Küchenhilfen und Spülerinnen in der Gastronomie müssen auch im Westen häufig mit Nettomonatseinkommen von unter 1.500 Mark auskommen. „Wir nehmen meist gar nicht wahr, wie viele Lebenskünstler es unter uns gibt“, sagt Gerhard Gerlach, Tarifsekretär bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Düsseldorf.

Auch die tarifliche Mindestbezahlung richtet sich nach dem Markt. So müssen sich die Gewerkschaften beispielsweise im wirtschaftlich schwierigen Saarland mit geringeren Tarifen zufriedengeben als im stabileren Baden- Württemberg. Von den östlichen Bundesländern ganz zu schweigen. Selbst in den untersten Lohngruppen versuchen die Arbeitgeber noch, Personalkosten zu senken. „Die Tendenz geht dahin, die unteren Tätigkeiten auszulagern“, erklärt Klaus Schroeter, Abteilungsleiter Hotel- und Gaststättengewerbe bei der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) in Frankfurt. In großen Hotels und Luxusrestaurants rücken täglich externe Topfspültrupps an. Auch im Einzelhandel schicken die Lieferanten zunehmend „Auffülltrupps“ mit, in denen vor allem geringfügig Beschäftigte ackern.

„Diese Arbeitgeber müßten zwar auch tariflich zahlen, machen aber meist ihre eigenen Stundensätze unterderhand aus“, so Gerlach. Zehn Mark die Stunde auf die Hand, das rechnet sich nicht nur für die Dienstleistungsfirmen, sondern anscheinend auch für die weiblichen Hilfskräfte, wenn sie über ihre Ehemänner krankenversichert sind. Wer keinen verdienenden Partner hat, ist buchstäblich arm dran.

Neunzig Prozent der ArbeitnehmerInnen werkeln immerhin in Bereichen, für die Tarifverträge abgeschlossen wurden, ermittelte das DGB-Forschungsinstitut WSI. Besonders riskant aber wird das Spiel um Lohn und Brot, wenn nicht mal die Branchentarife gelten. So wie in der Zeit- oder Leiharbeit.

2.758 Zeitarbeitsbetriebe im Westen und 174 im Osten zählte die Schutzgemeinschaft Zeitarbeit (SGZ) im vergangenen Jahr. 290.000 Arbeitnehmer waren über Leiharbeitsfirmen beschäftigt, davon zwischen 70 und 80 Prozent Männer. Zeitarbeitsfirmen sind per Gesetz „nicht an Tarife gebunden“, erklärt die Sprecherin der SGZ, Sieglinde Schneider. „Es handelt sich hier um einen marktabhängigen Lohn.“

Das Prinzip ist einfach: Unternehmen, die saisonale Spitzen in der Produktion abfangen wollen, lassen sich über Zeitarbeitsfirmen Beschäftigte vermitteln. Diese müssen zwar regulär über die Leiharbeitsfirma sozialversichert sein – der Lohn aber wird unter vier Augen ausgehandelt. Fast die Hälfte der Zeitarbeitnehmer war zuvor arbeitslos. „Wir zwingen aber niemanden, eine Tätigkeit über eine Zeitarbeitsfirma anzunehmen, die nicht nach dem branchenüblichen Tarif bezahlt wird“, betont Rainer Schaperdot vom Arbeitsamt V in Berlin.

Bei den „schwarzen“ Jobs schließlich herrschen Schwarzmarktpreise. Mindestens eine Million Hilfskräfte in Haushalten putzen und betreuen Kinder, schätzt die Familiensoziologin Maria Rerrich. 500.000 Illegale schuften auf dem Bau, rechnet die IG Bau-Steine-Erden vor. Bei einer Razzia auf einer norddeutschen Baustelle stieß die Polizei auf den absoluten Tiefstand: Portugiesische Leiharbeiter ackerten für 2,88 Mark in der Stunde. Barbara Dribbusch