Die Wagenburg der Seligen

■ Bremen als Mekka der deutschen Squaredance-Begeisterten: 1500 Cowgirls und -boys tanzten und feierten ein Wochenende lang in der Stadthalle ihr „Sommer-Jamboree“

„Mainstream“ ist ein verdächtiges Wort, das derartig nach Mittelmaß mufft, daß niemand damit in Verbindung gebracht werden möchte – sollte man meinen und irrt. Über 1500 Square-DancerInnen aus ganz Europa jedenfalls waren am Wochenende der Einladung des Bremer Clubs „Key Porters“ zur „Sommer-Jamboree“ in die Stadthalle gefolgt und bekannten sich: Fröhlich, zur Masse zu gehören, tanzten sie stundenlang umeinander herum, warfen ausgelassen die kniekurzen Petticoat-Röcke in die Höhe und kreisten die Hüften unter der beschlipsten Brust, so gut es ging. Mehr noch: manche waren stolz, überhaupt dabeisein zu dürfen. Denn wer „Mainstream“ tanzt, muß immerhin die 38 Grundtanzfiguren im Square-Dance beherrschen – klatschen und schreien inklusive.

Aber Square-Dance ist mehr als selbstbeklatsches und bejubeltes Mittelmaß, das jedenfalls beteuern seine AnhängerInnen. Square-Dance ist ein kleines Glaubensbekenntnis zu Weltoffenheit, Gemeinschaftssinn und Freundlichkeit. Da heißt Edith Finaske nur Edith – auch wenn sie die Präsidentin des hiesigen Clubs ist. Und Günther ist einfach Günther. Auf der Plakette, die er wie alle an der Brust trägt, erfährt man zusätzlich, daß er aus Worms kommt – und daß er ein „Squeezer“ ist, ein Drücker. Genaugenommen ein „Mädchen“-Drücker, erklärt Günther unbefangen seinen „Badge“, seine Plakette eben. Ein wenig Englisch muß man schon können, oder wenigstens lieben, um sich in dieser Subkultur heimisch zu fühlen, auch wenn fremde Freundlichkeit eigene Unkenntnis wieder wettmacht: „Das kann man lernen“, versichern alle. Im übrigen kommt es ja auf's Tanzen an und, wie gesagt, auf's Internationale. Da wiederum hilft die Sprache aus dem Mutterland des Tanzes: In schönstem Kaugummi-Englisch wird jede Figur, ob Circle oder Line, angesagt oder vielmehr zur schönsten Country- und Westernmelodie gesungen.

Seit über 200 Jahren geht das schon so, seit die europäischen Einwanderer in den Staaten sich zum Mix aus Polka, Walzerdrehung und Schuhplattler verabredeten. Vor 40 Jahren schon ist das Ergebnis über den Atlantik zurückgeschwappt. Mittlerweile hat es sich ausgebreitet. Ob in Prag, in Plauen oder Paris, in jedem Club der Welt wird gleichermaßen im Viereck gesprungen. Und als Zeichen der Gastfreundschaft gibt's dort noch eine Plakette obenauf, wenn man vorbeikommt. Das „Dangle“, das man sich an die Brust pinnen kann, so wie der stolze Günther das von Salt Lake City. Andere Möglichkeiten, sich eitel zu präsentieren, gibt es wenige. Wer gerne Cowboyhut trägt, muß ihn zum Tanzen absetzen. „Eine Regel“, erklärt die Bremer Präsidentin. Auch Spaghettiträger sind verpönt – und kurze Ärmel bei den Herrn. „Wegen der behaarten Oberarme“. Über dem Tanz der frühen Siedler liegt noch ein Hauch ihrer Moral und die besagt, daß innere Werte die Schönheit der Menschen und ihrer Tänze ausmachen: „Den guten Tänzer erkennt man daran, daß er den anderen auf den Weg hilft“, erklärt Edith Finaske.

Kein Gruppentanz ohne funktionierende Gruppe, zumal die Schrittfolge frei variabel ist. Man muß schon hinhören, was der „Caller“ singt. Und dann fädeln, den Überblick behalten und auch mal zugreifen. Sonst laufen die TänzerInnen aus der Bahn, das Viereck ist futsch und der Spaß vorbei.

Nicht einmal eine Formation, eine Staffel, eine Extra-Aufführung gibt es. Alle sind irgendwie gleich – Gemeinschaft kostet ihren Preis. Auch die Frau im Männer-Aufzug muß ihn zahlen: Wer in Hemd und Hose kommt, tanzt den Mann. „Aber das ist kein Problem“, lacht Edith. Auch wenn Günther den Gründen dafür gerne auf die Spur kommen will. Eva Rhode

Die „Key-Porters“ treffen sich regelmäßig im Bürgerhaus in der Neuen Vahr. Kontakt: Tel. 355924