Wasserschutz verwässert

■ Auf Druck von Großunternehmen wurden die neuen Regelungen entschärft / Siemens bleibt Umstellung erspart

Der vehemente Widerstand der Industrieunternehmen war erfolgreich: Die Senatsumweltverwaltung verzichtet auf weitreichende Auflagen zum Schutz des Trinkwassers. Diese Auflagen waren ursprünglich Bestandteil von fertig erarbeiteten Wasserschutzgebietsverordnungen für die Wasserwerke Tegel und Jungfernheide, die Umweltsenator Hassemers Amtsvorgängerin Michaele Schreyer (Grüne/AL) bereits bis zum Jahre 1991 verabschieden wollte.

Nach der öffentlichen Auslegung der Verordnungsentwürfe im Frühjahr 1991 hatten 25 bis 30 Großunternehmen, unter ihnen Siemens, AEG, Borsig und BMW, sowie eine Vielzahl kleinerer Betriebe geharnischte Einwände erhoben. Tenor: Einzelne Verbotstatbestände würden die Unternehmen zu sehr reglementieren und die Produktionskosten zu stark in die Höhe treiben. In Gesprächen wurden von Firmenmanagern immer wieder gedroht, die Produktion zurückzufahren oder gar ins brandenburgische Umland zu verlagern.

Während die Fachleute in Hassemers Wasserbehörde ursprünglich generell die Verwendung wassergefährdender Flüssigkeiten in den Schutzzonen ausschließen wollten, soll jetzt der Gebrauch der Stoffe unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen weiter erlaubt bleiben. Hauptnutznießer ist ausgerechnet der Siemens-Konzern, der 1982 für eine nachhaltige Vergiftung der Brunnen des Wasserwerks Jungfernheide durch chlorierte Kohlenwasserstoffe sorgte. Durch undichte Kanäle und ein Sammelbecken für Lackschlämme sickerten vom Werksgelände an der Nonnendammallee massenhaft die Chemikalien Trichloräthylen und Perchloräthylen ins Grundwasser. Die Beseitigung der Schäden erforderte einen enormen Aufwand. Noch heute sind deshalb acht der 51 Brunnen des Jungfernheider Wasserwerks außer Betrieb. Wegen des Ausfalls der Brunnen ist die Förderkapazität um ein Fünftel verringert.

Nach dem ursprünglichen Entwurf der Schutzzonenregelung für Jungfernheide hätte Siemens für eine bessere Sicherung der wassergefährdenden Werksanlagen tief in die Tasche greifen müssen. „Es gab das Gebot, für die Anlagen, die nicht den Anforderungen genügen, innerhalb von fünf Jahren ein Sanierungskonzept vorzulegen“, so Norbert Schlegel, Schutzzonenbeauftragter der Berliner Wasser-Betriebe. Für das Gebot, das Schlegel zufolge jetzt vom Tisch ist, existierten gute Gründe. Entsprechend dem bundeseinheitlichen Wasserrecht muß der Senat die weitere Schutzgebietszone, in der wassergefährdende Handlungen verboten sind, von jetzt 500 Metern auf einen Umkreis von zwei Kilometern um die Tiefbrunnen ausdehnen. Alle Siemensstädter Werksanlagen des Elektrokonzerns liegen in diesem Bereich. Zum Tegeler Wasserschutzgebiet, bislang nur ein schmaler Kordon rund um den Tegeler See, werden künftig die Industrieanlagen Gartenfeld, am Salzhof und dem Borsighafen gehören.

Wie in der Elektroindustrie üblich, verwendet Siemens zur mechanischen Fertigung von Bauteilen wassergefährdende Mineralölemulsionen als Schmier- und Kühlmittel. Anders kann man keine Bleche bohren, fräsen oder schneiden. „Wenn man das einbezieht, hätten wir nach dem ersten Verordnungsentwurf nicht mehr fertigen können“, erläuterten Konzernvertreter. Statt dessen habe die Wasserbehörde Vorschläge gebilligt, denen zufolge es im wesentlichen reicht, wenn in sämtlichen relevanten Werks- und Lagerräumen, wo nicht bereits geschehen, dichte Stahlwannen eingebaut werden. Als „wassergefährdende Anlage“ gelten dabei die meisten Siemenswerke: Sowohl im Dynamo- und Meßgerätewerk als auch im Röhren-, Kabel- und Hausgerätewerk fallen verunreinigte Öl- Wasser-Emulsionen oder Rückstände von Reinigungsmitteln zur Entfettung von Werkstücken an.

Der Eindruck sei falsch, daß die Schutzgebietsverordnungen auf Druck der Industrie verwässert worden sind, heißt es gleichwohl aus der Wasserbehörde. Doch die Wasserfachleute mußten nicht nur die Interessen der Wirtschaft berücksichtigen. So konnte die sehr aktive Lobby der Wassersportvereine und -verbände mit Hilfe Sportsenator Klemanns erreichen, daß für Tegel geplante Schutzgebietsbestimmungen wieder gestrichen werden. Vorgesehen war ein totales Badeverbot am Tegeler See im Bereich der weiteren Schutzzone um die Trinkwasserbrunnen in Saatwinkel. Dieses Verbot hätte auch die sogenannten wilden Badestellen an den Seeufern umfaßt, wo Leute bereits seit Jahrzehnten „wild“ baden, weil dagegen niemand einschreitet. Die Sportverwaltung argumentierte, daß ein nunmehriges Verbot des Freizeitvergnügens sowieso unwirksam sei, da schlechterdings nicht zu kontrollieren. Jetzt will die Wasserbehörde das Baden nur noch an oberirdischen Gewässern außerhalb genehmigter Sportanlagen untersagen. Aus dem Bürokratendeutsch übersetzt: Wo ein Schild „Hier darf gebadet werden“ steht, dürfen Wasserfreunde auch weiterhin munter planschen.

Der großen Zahl von Verbandseinsprüchen Rechnung tragend, wurde inzwischen auch auf das vorgesehene Verbot des Motorbootverkehrs in der weiteren Schutzzone verzichtet. Der Stopp der knatternden Wasservehikel sei „nicht zwingend geboten“, erklärte Umweltsenator Hassemer.

Die in erster Linie betroffenen Wasser-Betriebe meinen, daß man mit derartigen Kompromissen leben könne. „Der Wasserschutz wird wesentlich besser sein als der, den es bisher gegeben hat“, sagte der Schutzzonenbeauftragte Schlegel. Stimmt. Zur Verbesserung des noch gültigen alliierten Rechts aus dem Jahre 1946 gehört freilich nicht viel: Den Alliierten war seinerzeit unter dem Hygienegesichtspunkt lediglich daran gelegen, daß in direkter Umgebung der Trinkwasserbrunnen keine Fäkalien versickern können. Thomas Knauf