Rote Socken – heiße Sohlen

■ Wahlparty der PDS in Magdeburg: Mit plakativem Multi-Kulti feiern sich Partei und Punks, Altkader und Antifas, Kurden und Kubaner in den 20-Prozent-Rausch

Normalerweise hätte man den Punker-Flegeln längst den Marsch geblasen, die, mit Bierdosen bewaffnet, auf den Treppen zur Marietta-Bar rumlungern und den Aufgang zur Terrasse blockieren. Doch heute ist rein gar nichts normal in Magdeburg, und so steigen die braven Besucher mit tapferem Verbrüderungslächeln über die grünhaarigen Schmuddelkinder hinweg. Denn schließlich sind sie Teil des gewagten Ensembles, das heute zur Wahl steht: die Farbkleckse von Gysis bunter Truppe.

Und die waren begeistert von der Idee der PDS, die Wahlparty statt im Ernst-Thälmann-Haus in der Marietta-Bar auszurichten. In jenem Café, in das sich am Himmelfahrtstag die von Skinheads gejagten Ausländer geflüchtet hatten. Eine Ehre sei das, findet der türkische Besitzer. Nein, eine Selbstverständlichkeit, erwidert der Bürgermeisterkandidat Hans Werner Brüning: Schließlich wolle die PDS ein Zeichen setzen gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus.

Eine politisch korrekte Wahlparty, das kommt an. Bandierra Rossa, eine Magdeburger Antifa- Gruppe, hat ihren Stand aufgebaut. „Natürlich habe ich PDS gewählt“, sagt der achtzehnjährige Andy. „Weil die PDS die einzige Partei ist, der man glauben kann, daß sie Antifaschisten unterstützt.“ Und die Grünen? „Die mag ich nicht, weil sie für den Krieg in Bosnien sind.“ Was aber mit der Vergangenheit? „Die PDS ist eine ganz normale Partei.“

„Wir sind nicht die Nachfolgeorganisation der SED“, heizt ein Funktionär unter dem „West“- Sonnenschirm die Stimmung an. „Genau“, sagt eine alte Frau neben ihm. Sie weiß es genau, schließlich „bin ich schon seit 1946 Mitglied der PDS“.

Da lachen die Jungs von der „PDS-Arbeitsgruppe junger Genossen“. Die Kubaner, extra zum Feiern geladen, leiden indes unter der Musik: Hannes Wader plärrt trotz alledem, Herman van Veen säuselt, und Rio Reiser darf zusammen mit Gregor Gysi König von Deutschland sein.

Während sich die Kubaner die Rasta-Locken raufen, sonnen die Stadtverordneten der PDS geduldig die Glatzen. Schon am Nachmittag haben sie zwei Tische neben dem Fernsehgerät in ihre Gewalt gebracht, die sie gegen alle Anfechtungen fußlahmer Genossen verteidigen. Schicksalsergeben werden weiße Rüschenblusen und übergroße Herrenbauchhemden durchgeschwitzt. Schließlich hat man Schlimmeres durchgestanden in den vergangenen Wochen: Der „gemeinen Anti-Kampagne“ der etablierten Parteien haben die trotzigen PDS-Funktionäre eine Politik der heißen Sohlen entgegengesetzt. Unermüdlich hat man hart am Volk gearbeitet, hat dessen Probleme angehört, Bürgerinitiativen gegründet, gegen die Strompreise demonstriert, Kindertagesstätten gerettet und für Tempo 30 gefochten. Wo auch immer ein Problem lauert: Die PDS ist schon da.

Die Familie ist groß, und sie will wichtig werden. „Geschunden und gescholten wurden wir, doch nun reicht's: Nach dieser Wahl kann keiner mehr an uns vorbei. Wir haben den Ostlern wieder Selbstvertrauen gegeben“, sagt Brüning.

Und doch klapperten Knie und Gebisse, als Infas um 18 Uhr die ersten Wahlprognosen verkündete. Eisiges Schweigen beim CDU-Ergebnis. Keine Reaktion bei der SPD. Doch als die FDP rausfliegt, fliegen auch in der Marietta-Bar die Fetzen: Johlen, Jubel, die sind wir los, die sind tot. Und dann das Entscheidende: PDS: 18,5 Prozent. Bravo! schreien die PDSler und klatschen. Und hoffen ganz insgeheim, daß es doch noch langt zu den 20 Prozent.

„Nun sind wir wieder wer“, sagt der 63jährige Manfred, ein altgedientes Mitglied. Früher, in grauer Vorzeit, war er schon mal was: Volkspolizist im Dienste des Sozialismus. „Einmal hab ich auf der Autobahn Erich Honecker kontrolliert, ganz stur.“ Stur ist er heute nicht mehr: „Was wir gemacht haben, war ein Versuch.“

Nachdenklich schwelgen die Rentner in der Vergangenheit, bis ihr Blick im Jetzt hängenbleibt: Die Schwarzen tanzen! Reggae auf der Terrasse. Flugs mischen sich die Autonomen dazu und zeigen den Pogo. Schließlich kommen die Kurden und holen die langhaarigen Antifaschisten zum kurdischen Kreistanz. Hart kämpfen die Alten um Gelassenheit. Und man sieht, wie sich langsam, ganz langsam rostige Räder im Kopf in Bewegung setzen. Und danach die Beine: Ein Wahlkämpferpaar schwingt sie im Foxtrott, durch die zuckende Masse hindurch.

Dann, endlich, kommen die Helden: Roland Claus, PDS-Fraktionschef im Landtag, federt herbei, schlank und elastisch wie einst Joschka Fischer beim Amtsantritt. Im Schlepptau: Lothar Bisky, der Bundesvorsitzende. Strahlende Gesichter und starke Worte: „Die diskutieren nur noch über die PDS“, feixt der braungebrannte Claus. „Das Erreichte ist noch nicht das Erreichbare!“ ruft Bisky. Später gesteht er: „Ich hab' gezittert wie ein kleines Kind.“ Nun aber wird gespottet. Bisky über den Aufruf des Richard von Weizsäcker, die PDS nicht auszugrenzen: „Och je, der gütige Oberlehrer, den wollen die Ostler nicht. Die wollen die Einheit mitgestalten. Wir haben einen Auftrag, und den werden wir erfüllen.“

Als Petra Sitte kommt, die Spitzenkandidatin, fühlt man sich gar wie bei Bündnis 90/Die Grünen. In Jeans und Ringel-T-Shirt spricht die Dreiunddreißigjährige davon, außerparlamentarischen Kräften Gewicht zu geben. Doch wie nur will sie, die sich bei parteieigenen Ausländerdiskussionen schon mal fühlt „wie bei den Reps“, die Altkader verbinden mit den Reformern? „Gar nicht. Geistige Unabhängigkeit ist das Markenzeichen der PDS.“

Und um die umzusetzen, muß sie nun los, ganz schnell, denn die Arbeit ruft. „Fahr nicht bei Karstadt längs“, rät ein Mitstreiter. „Da stehen die Bullen.“ „Aber nein“, verbessert Brüning. „Das sind unsere Sicherheitspartner.“ Michaela Schießl, Magdeburg