Vernünftig wie jeder Mensch

■ „Das Fremde“ – Antirassismus zur Primetime, ARD

Ungewöhnlich und lobenswert ist es, wenn die ARD schon um 20.15 Uhr einen antirassistischen Dokumentarfilm sendet, der nicht nur auf marktgängige Allgemeinplätze, sondern auch auf paternalistisches Betroffenheitspathos verzichtet. Statt dessen stellen Detlef Gumm und Hans-Georg Ulrich in ihrem Film zwei Gruppen selbstbewußter „Fremder“ gegeneinander: solche, die allein aufgrund ihrer Hautfarbe als fremd gelten, und westdeutsche Investoren und Alteigentümer, die das Ehemalige als neue fremde Herren wieder in Besitz nehmen.

Lose verknüpfen sich in ihrem Film sechs Porträts recht unterschiedlicher Menschen: Man lernt den schwergewichtigen Dr. Muyemba aus Zaire kennen, der als „Schwarzer zum Anfassen“ durch Brandenburger Schulen tingelt. Ein paar Minuten lang tanzt er mit einem Kassettenrecorder im Arm vor Strausberger Schülern herum. Die schüchternen Kinder trauen sich nicht mitzumachen und kichern statt dessen unsicher vor sich hin. (Dr. Muyemba erzählt, daß es nicht immer so ist. Die Schüler einer Polizeischule zum Beispiel hätten begeistert mitgemacht.)

Man sieht die Erben einstiger Zuckerbarone, wie sie sich im Land ihrer Väter alle gelben Häuser nehmen; friedensbewegte Junkererben und Gabriela Willbold, eine Cottbuser Gynäkologin, die ihren schwarzen Vater nie kennengelernt hat. Julian Graf zu Solms- Baruth, ein junger Adliger, der aus Südafrika anreiste, um die Rückkehr „der fürstlichen Familie“ vorzubereiten, kommt als seltsame Realsatire mit dunkler Sonnenbrille des Wegs. Dem jungen West- BGSler mit Scharping-Bart, der an der deutsch-polnischen Grenze den depressiven Wohlstand sichert, folgt Nela Kelek, eine Türkin aus Hamburg, die erwachsene Techniker und Ingenieure aus dem AKW Greifswald umschult. Ihre Schüler sind aufgeklärt: Einer schimpft auf „arrogante Wessis – da würde ich jeden Ausländer vorziehen“, ein anderer meint, gegen Ausländer sei nichts einzuwenden, „wenn sie sich vernünftig verhalten wie jeder Mensch“.

Unspektakulär gelingt es den Filmemachern und ihren Protagonisten, unterschiedliche Formen des Blicks auf Fremde darzustellen. Während der Augenschein der „Einheimischen“ auf die Herren aus dem Westen, die die Fremde als Heimat in Besitz nehmen, an einer Aura aus Geld, Macht oder Herkunft abprallt oder gar devot wird, geht er bei Nichtschweinsfarbenen auf die verletzliche Haut. Gabriela Willbold, die heimliche Heldin des Films, erzählt sehr anschaulich von den Nuancen rassistischer Blicke, die gelegentlich durch Zeichen der Autorität (Ärztekittel) gehemmt werden.

In der deprimierend-komischen Schlußszene sitzen ein paar Dorfjugendliche in Sorchendorf unter einem Baum. Ausländer sind für sie „das Letzte“. Arbeit gibt es hier nicht. Einer hat mal in Stuttgart gejobbt, ein halbes Jahr lang. Länger hielt er es nicht aus. Weil er dort „ein Fremder“ war. Detlef Kuhlbrodt