Von Weizsäcker – eine überhelle Lichtgestalt

Ein Bundespräsident tritt ab: Die Konturen eines strahlenden Übervaters / Von der Ohnmacht des Amtes und der Macht der Rede / Integration war ihm alles, ihr widerstanden auch die Köpfe der sozialen Bewegung nicht  ■ Von Hans Monath

Wird es nun dunkel in der Villa Hammerschmidt und duster im Schloß Bellevue? Am Freitag tritt nach zehnjähriger Amtszeit nicht nur ein Bundespräsident ab, sondern eine Lichtgestalt. Zumindest aus der Sicht der Demoskopen: „Zunächst fiel mir nur auf, wie hell dieses Bild war: beinahe überhell, wie ein überbelichtetes Foto. Kein Schatten auf dieser Gestalt.“ So beschrieb die unionsnahe Allensbach-Chefin Elisabeth Noelle- Neumann das öffentliche Bild des CDU-Politikers Richard von Weizsäcker, als der sich im Frühjahr 1984 eben anschickte, in der Bundesversammlung für das Amt des Staatsoberhaupts zu kandidieren.

Schon vor der Wahl strahlte dieses Bild, und nach zehn Jahren Amtszeit strahlt es noch immer – vielleicht noch heller als 1984. Mit Richard von Weizsäcker geht nicht nur ein Bundespräsident, sondern ein republikanischer Ersatzkaiser.

Über welchen anderen Staatsmann würden gleichzeitig Bild- Kolumnisten Bücher schreiben und die grüne Politikerin Antje Vollmer lobende Artikel? Welcher andere Präsident hätte gegen den Widerstand einer breiten Öffentlichkeit die Begnadigung Angelika Speitels durchgesetzt und sich gleichzeitig sicher sein dürfen, daß auch die meisten Wähler der CSU und viele der „Republikaner“ zufrieden damit waren, wie er sie im Ausland vertrat? Richard von Weizsäcker – der personelle Anti-GAU in seinem Amt, der größte anzunehmende Glücksfall in der Villa Hammerschmidt?

Vor der Wahl in der Bundesversammlung amtierte Weizsäcker als Regierender Bürgermeister in Berlin. Er war es, der die Berliner Linie durchsetzte: Kein Haus bleibt länger als 24 Stunden besetzt, aber den Besetzern werden Alternativangebote gemacht. Eine Diskussionsrunde der „Neuen Gesellschaft, Frankfurter Hefte“ nahm kürzlich ein Gedankenspiel auf: Was, wenn Weizsäcker 1984 Regierender Bürgermeister geblieben wäre? Wahrscheinlich wäre er wiedergewählt worden, wäre in den Jahren 1985 bis 1989 Kohls wichtigster innerparteilichen Konkurrent geworden – und das in einer Zeit, in der Kohl sehr schwach war. Wie hätte Weizsäcker, der als Machtpolitiker unterschätzt wird, als Kanzler gewirkt – und wie strahlend oder schattig wäre sein Bild dann ausgefallen?

Weizsäcker hat das Amt des Bundespräsidenten so weit ausgedehnt, wie man es ausdehnen kann. Auf die Formel „wenig Macht, viel Autorität“ hat sein ehemaliger Sprecher, der CDU- Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger, die Möglichkeiten des Amtes einmal gebracht. Autorität hat Weizsäcker sich erworben allein durch die Macht der Rede: Mit seiner Ansprache zum 8. Mai 1985, die bei der Nennung der Opfer keinen Unterschied machte zwischen Demokraten und Kommunisten und von Schuld und Verantwortung sprach, mit seiner Kritik an den Parteien, am Kanzler. Seine Mahnungen zum Asylrecht und zur doppelten Staatsbürgerschaft allerdings haben wenig Wirkung gezeigt.

Der Bundespräsident hat auch einen Effekt bedient, den man den Spiegeleffekt des Auslands nennen könnte. Wie sehen uns die anderen? – das ist in keinem anderen Land eine so interessante Frage wie in der Bundesrepublik. Und im Ausland hat Weizsäcker eine gute Figur gemacht. Auch die Diplomaten, bekanntlich sehr formstrenge Menschen, waren beglückt, daß sie bei Auslandsbesuchen mit dem Staatsoberhaupt keine Angst vor Peinlichkeiten, falschen Zungenschlägen und Fehltritten haben mußten. Und den Gastgebern zeigte der deutsche Gast, daß er sie wichtig nahm – auch wenn er in Litauen oder Lettland zu Besuch war. In dem hellen Deutschland- Bild, das Richard von Weizsäcker verbreitete, haben sich die Deutschen gerne erkannt.

Daß er diese seltene Sicherheit im Auftreten einer Familientradition verdankt, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Mitglieder der politischen Elite in Deutschland stellte, sagt viel über die politische Kultur der Bundesrepublik. Von diesen Eliten ist nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland wenig übriggeblieben. Das Versagen konservativer Politiker gegenüber dem Nationalsozialismus gehört auch zu der Familientradition Weizsäckers: Seinen Vater, den ehemaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Botschafter beim Vatikan, verteidigte der Rechtsanwalt Richard von Weizsäcker in den Nürnberger Prozessen, wo der Ex-Diplomat 1948 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Was für Antje Vollmer ein „Flair von natürlicher, unangestrengter Autorität“ ist, haben Mitarbeiter Weizsäckers auch als schroffe Härte, als Arroganz erlebt: Dieser Chef muß weder besonders verständig noch eben pflegeleicht gewesen sein. Solche Schattenseiten einer Lichtgestalt aber sind der Öffentlichkeit nicht vorgeführt worden. Sie hat sie auch nicht wissen wollen.

Manches andere auch nicht. Wie war das mit Cordt Schnibbens Recherchen über das Wissen des Boehringer-Ingelheim-Geschäftsführers Richard von W. über die Produktion von Chemikalien, die im Vietnamkrieg zur Entlaubung der Wälder eingesetzt wurden und bei Arbeitern schwere Folgeerkrankungen auslösten? Die aufwendig recherchierte Serie erschien im Spiegel, aber wie oft hat das gewöhnlich recht hartnäckige Magazin nachgelegt? Wie viele Zeitungen, die sich sonst nicht zieren, haben die Themenvorgabe übernommen und weitergebohrt?

Wenig ist thematisiert worden, wie sehr die Wirkung Richard von Weizsäckers mit der Person Helmut Kohls verbunden war. Nicht nur deshalb, weil der CDU-Vorsitzende den Präsidenten des Evangelischen Kirchentages in die Politik geholt und später zum Präsidenten bestimmt hatte. Es war 1982 ein Kanzler angetreten, der zwar lautstark eine geistig-moralische Wende angedroht hatte, aber dann bekanntlich weder ein Programm aufschrieb noch über die rhetorischen Fähigkeiten gebot, einen denkenden Menschen für eine solche Wende zu gewinnen. Auch deshalb funktionierte die Aufgabenteilung zwischen „good guy“ und „bad guy“ in Bonn so gut: Der Gegensatz Kohl/Weizsäcker war Bedingung für den Erfolg des Hausherrn in der Villa Hammerschmidt.

Viel hat Weizsäcker dazu beigetragen, die Köpfe der sozialen Bewegung mit den Institutionen der Republik zu versöhnen. Nicht nur Antje Vollmer hat sich von seiner Gesprächskultur beeindrucken lassen. Als die Linke noch große Entwürfe hatte und nicht nur verteidigte, wäre die Integrationsleistung Weizsäckers als Versöhnung von Gegensätzen noch verdächtig gewesen. Im Zeitalter der kleinen Schritte, in lichtarmer Zeit fällt die Bewertung anders aus: Richard von W. – beinahe überhell.