Stillegung bei VW Brasilien?

Volkswagen-Betrieb in São Paulo verschmutzt den Tiete-Fluß mit Abwässern / Umweltbehörde droht mit Produktionsstopp  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Brasiliens größter Automobilkonzern Autolatina läuft Gefahr, seine Produktion zeitweilig einstellen zu müssen. Die Holding der beiden Giganten VW und Ford in São Bernardo im Bundesstaat São Paulo verschmutzt mit ihren giftigen, größtenteils ungeklärten Abwässern den bereits äußerst belasteten Fluß Tiete, der sich durch die Metropole São Paulo zieht. „Ich hoffe nicht, daß es soweit kommt. Doch wenn Autolatina nicht bis zum 22. Juli ein Projekt vorlegt, müssen wir die Fabrik zeitweise stillegen“, warnt Pericles Asbahr von der Umweltbehörde des Bundesstaates São Paulo, Cetesb.

Die Umweltbelastung, die von den beiden Fabriken „Via Anchieta“ (Volkswagen) und „Taboao“ (Ford) ausgeht, ist enorm. Nach Cetesb-Messungen leitet die VW-Einheit pro Stunde 5.000 Kubikmeter Abwässer in den Tiete- Zufluß Tamanduatei ein. Einmal abgesehen von Fäkalien besteht der VW-Cocktail aus Lösungsmitteln verschiedenster Art, Schwermetallen und Zyankali. Zwar verfügt die VW-Fabrik „Anchieta“ über eine Kläranlage mit einem Fassungsvermögen von 1.200 Kubikmetern pro Stunde. Da jedoch alle Abwässer – Regenwasser, Lösungsmittel sowie organischer Abfall – in einer Kanalisation zusammenfließen, hat sich die bisherige Behandlung als uneffektiv erwiesen. Die Ford-Fabrik „Taboao“ leitet ihre Abwässer ohne jegliche Behandlung in den Fluß ein.

Autolatina ist nicht die erste Industrie im Großraum São Paulo, die mit der Umweltbehörde aneinandergerät. Um den Zeitplan zur Reinigung des Tiete aufrechtzuerhalten, entzog Cetesb allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres dreizehn Firmen zeitweilig die Produktionsgenehmigung. Die Umweltbehörde von São Paulo sowie der Gouverneur des reichsten Bundeslandes von Brasilien, Luiz Antonio Fleury Filho, hatten 1991 von der Weltbank finanzielle Mittel zur Reinigung des Flusses zugesagt bekommen. Bis jetzt haben sich 70 Prozent der 1.250 größten Umweltverschmutzer am Ufer des Tiete bereits den Cetesb-Normen angepaßt.

„Autolatina hatte genug Zeit, um die Veränderungen einzuleiten“, beschwert sich Pericles Asbahr über die Verzögerungstaktik des Automobilkonzerns. Nachdem auch die tägliche Strafgebühr keinen Einfluß auf das grüne Gewissen des Automobilkonzerns ausübt, ist die Verständigung zwischen der Umweltbehörde und der Holding abgebrochen. Der tägliche Strafzoll von umgerechnet drei Mark, so räumt Cetesb-Vertreter Asbahr ein, sei allerdings alles andere als bedrohlich. Eigentlich müsse der Wert heutzutage 15.000 Mark betragen, doch er sei aus rechtlichen Hindernissen seit drei Jahren nicht mehr an die Inflation angepaßt worden.

Autolatina ist die Konfrontation mit der Umweltbehörde gerade einen Kurzkommentar wert. „Die Firma ist selbstverständlich bereit, das Problem aus der Welt zu schaffen“, säuselt Pressesprecher Arquimedes Azol, dennoch handele es sich um eine äußerst delikate Angelegenheit. Die firmeninterne Anweisung verbiete es, Informationen an die Presse weiterzuleiten. Der Automobilkonzern hatte sich bereits im Mai 1992 öffentlich verpflichtet, 5,9 Millionen US-Dollar im Rahmen des Programmes zur Reinigung des Tiete zu investieren.

Autolatina-Sprecher Arquimedes Azol räumte ein, daß dieser Plan zur Abwasserbehandlung noch nicht umgesetzt worden sei und die notwendigen Umweltschutzinvestitionen den im Jahre 1992 veranschlagten Wert heute übertreffen würden.

Autolatina hält mit über 50 Prozent den größten Anteil an Brasiliens Automobilproduktion. Nach Angaben der brasilianischen Vereinigung der Automobilindustrie, Anfavea, erlebt die Branche, der neben VW und Ford noch Fiat und General Motors angehören, zur Zeit einen Boom. Mit einem Produktionsrekord von 1,39 Millionen Fahrzeugen legte die Branche 1993 um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. In den ersten drei Monaten dieses Jahres verließen 367.000 Fahrzeuge die vier Autofabriken. Gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum bedeutet dies erneut einen Zuwachs von 34 Prozent.