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Das Atomzeitalter reguliert sich nach der Sonne

■ Eine überflüssige Sekunde macht den 1. Juli zum längsten Tag / Die künstliche Zeitmessung wird zu Fuß umgestellt / „In der Tat schwer zu vermitteln“

Braunschweig Jeder Tag hat 24 Stunden. Jeder Tag? Nein. Der 1. Juli dieses Jahres dauert 24 Stunden und eine Sekunde, jedenfalls in der von Menschenhand künstlich geschaffenen Zeitmessung.

An diesem Tag wird die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig ihre Atomuhren für eine Sekunde anhalten und damit die 29. Schaltsekunde seit 1972 in die gesetzliche Zeit einfügen. „Warum diese Sekunde eingefügt wird, ist schwer zu vermitteln“, gesteht Andreas Bauch, Leiter des Zeitlabors der PTB. Dies habe eher historische als wissenschaftliche Gründe.

Auch wenn die Atomzeit (oder koordinierte Weltzeit) der mittleren Sonnenzeit angepaßt wird, technisch sei die Schaltsekunde im elektronischen Zeitalter nicht mehr nötig. Da sich die Erde unregelmäßig und zudem immer langsamer dreht, die Atomuhren aber auf eine Millionstel-Sekunde genau die Zeit anzeigen, entsteht im Laufe eines Jahres, manchmal auch zweier Jahre, die Differenz von einer Sekunde.

„Die verschiedenen Zeitskalen könnten wir auch alle 100 Jahre oder in jedem Schaltjahr anpassen“, sagt Bauch. Wissenschaftler diskutierten immer wieder, ob das häufige Schaltsekunden-Ritual nötig sei. „Ein Tag, also der Zeitraum, in dem sich die Erde einmal um sich selbst dreht, hat 86.400 Sekunden. Eine Sekunde pro Jahr mehr oder weniger beeinflußt unser von der Sonnenzeit geprägtes alltägliches Leben nicht“, sagt selbst der Chef des Zeitlabors.

Als das Internationale Büro zur Beobachtung der Erdrotation (IERS) mit Sitz in Paris 1972 die erste Schaltsekunde in die koordinierte Weltzeitskala (UTC) einfügte, habe die Schiffahrt eine entscheidende Rolle gespielt, erläutert Bauch. Damals benötigten noch viele Freizeitkapitäne, aber auch Handelsschiffe für ihre Navigation mit astronomischen Geräten Uhren, die möglichst genau die Sonnenzeit anzeigten.

Heute wird die exakte Position mit elektronischen Geräten über Satellitenempfang bestimmt. Dafür sei es zwar wichtig, daß überall auf der Welt synchron laufende Uhren stehen, nicht aber die Synchronschaltung mit der mittleren Sonnenzeit. Selbst in tausend Jahren wäre die Abweichung von wenigen Minuten eher nebensächlich.

Und dann ist da noch die Definition einer Atomsekunde, von der Internationalen Generalkonferenz für Maß und Gewicht im Jahr 1967 beschlossen. Es wäre laut Andreas Bauch überhaupt kein Problem gewesen, die künstlich geschaffene Atomsekunde etwas länger zu definieren und damit die Differenz zur Weltzeit noch geringer zu halten. „Doch damals entschied man sich dafür, die Länge der zuvor gültigen Ephemeridensekunde beizubehalten“, wundert sich der Physiker.

Es würde keine Arbeit machen, die Schaltsekunde einzufügen, und so seien die Hüter der gesetzlichen Zeit in Braunschweig dennoch gewillt, die Prozedur regelmäßig fortzusetzen.

Für Besitzer einer Funkuhr hat dies den Vorteil, daß die Schaltsekunde über den Zeitsender DCF 77 bei Frankfurt automatisch eingefügt wird. Andere Uhren, die mit der gesetzlichen Zeit übereinstimmen sollen, müssen am 1. Juli für die Dauer einer Sekunde angehalten werden. Aber das macht ja nicht viel Arbeit.

Anita Pöhlig, dpa

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