„Das Atombombenmaterial wird hoffähig“

■ Interview mit Paul Leventhal, Präsident des Nuclear Control Institute in Washington

taz: Herr Leventhal, Sie protestieren von Washington aus gegen den geplanten zweiten Forschungsreaktor in München-Garching. Was ist so aufregend an diesem atomaren Zwerg?

Paul Leventhal: Das ist seit vielen Jahren der erste Reaktor weltweit, der hochangereichertes, atombombenfähiges Uran nutzen soll. Damit würde ein sehr gefährliches Signal gesetzt. Wenn Deutschland daran festhält, tut es den langjährigen internationalen Anstrengungen zur Umstellung der Forschungsreaktoren auf niedrigangereichertes Uran Gewalt an, und führt möglicherweise ihren Abbruch herbei. Das würde die globale Verbreitung von Bombenuran neu entfachen.

Deutschland ist Mitglied des Atomwaffensperrvertrags, es unterliegt der vollen Kontrolle der Internationalen Atombehörde IAEO in Wien. Die Reaktorplaner an der Universität München argumentieren, bis heute sei kein Gramm hochangereichertes Uran in Deutschland verschwunden.

Die Sorge ist nicht so sehr, daß Deutschland dieses Material für den Bau von Bomben nutzen könnte. Ich habe keine Veranlassung, das anzunehmen. Trotzdem löst es Verdächtigungen aus, wenn ein Land ohne Not atomwaffenfähiges Material anhäuft. Das gilt, glaube ich, für Deutschland wie für Nordostasien, wo sich die Nachbarn Japans Gedanken machen, warum dieses Land Plutonium ansammelt, obwohl es den Stoff für seine Energieversorgung nicht braucht. Es ist eine Frage der Wahrnehmung im Ausland.

Der falschen Wahrnehmung?

Nicht nur. Deutschland würde der Welt ein schlechtes Beispiel geben. Der Atomwaffensperrvertrag soll nicht diskriminierend sein. Wenn sich ein Land herausnimmt, in einem neuen Forschungsreaktor atombombenfähiges Material zu verwenden, dann kann man anderen Mitgliedsstaaten nicht verbieten, dasselbe zu tun. Das Problem verschärft sich, wenn ein Hersteller wie Siemens diesen Reaktor als Prototyp entwickelt und später zum Kauf anbietet.

Der Atomwaffensperrvertrag legt auch fest, daß die Kernwaffenstaaten die anderen bei der zivilen Nutzung der Atomenergie auch in der Forschung nicht behindern dürfen. Die USA wollen kein hochangereichertes Uran für den Münchner Reaktor liefern. Ein Verstoß gegen den Vertrag?

Nein. Wir sagen, daß Deutschland kein Recht hat auf atombombenfähiges Material. Es hat ein Recht auf modernste Technik, um seine Neutronenforschung ohne diesen Stoffs fortsetzen zu können. Deshalb entwickeln die USA — übrigens mit wesentlicher Unterstützung auch der Deutschen — seit 1978 Brennstoffe, die den Verzicht auf Bombenuran in den meisten alten Reaktoren und in allen neuen ermöglichen. Das Problem ist, daß Deutschland einerseits ältere Reaktoren auf militärisch untaugliches Material umstellt, andererseits einen neuen Reaktor mit Waffenunran plant. Das wäre ein Präzedenzfall, den wir nicht akzeptieren dürfen.

Aber auch die USA planen ihre „Fortgeschrittene Neutronenquelle“ (ANS) mit waffenfähigem Uran als Brennstoff.

Das US-Energieministerium wollte tatsächlich den geplanten, weltgrößten Forschungsreaktor mit hochangereichertem Uran betreiben. Aber jetzt ist die Clinton- Administration am Ruder. Das State Department schickte kürzlich einen Brief an das Energieministerium. Darin wird verlangt, daß alle laufenden Reaktoren, die zur Zeit noch hochangereichertes Uran verbrennen, umgestellt werden. Im April sagte das Energieministerium zu, die Möglichkeiten für einen Betrieb der neuen Neutronenquelle mit niedrig angereichertem Uran zu prüfen. Wir haben den Verantwortlichen bei uns mitgeteilt: Wenn sie versuchen, diesen Reaktor für hochangereichteres Uran auszulegen, wird es erheblichen Widerstand geben. So wie es vor zehn Jahren beim geplanten Clinch-River-Brutreaktor war, der dann nie gebaut wurde.

Welche Alternativen können Sie sich für den Münchner Reaktor vorstellen?

Die Wissenschaftler sollten sich dem internationalen Programm zur Umstellung auf niedrig angreichertes Uran anschließen und gemeinsam mit den Wissenschaftlern in den USA Brennstoffkonfigurationen entwickeln, die nicht waffenfähig sind. Wir sind nicht grundsätzlich gegen den Bau dieses Reaktors, weil wir keine Anti-Atomkraft-Organisation sind. Wir wenden uns nur gegen Reaktoren, die den Welthandel mit atombombenfähigem Material wieder hoffähig machen.

Aber das NCI ist nicht die Administration. Werden die USA, wenn es hart auf hart kommt, hochangereichertes Uran für Garching liefern oder nicht?

Das geltende US-Recht verbietet das. Die USA werden vermutlich sogar verhindern, daß Material, das früher in andere Länder Europas geliefert worden ist, schließlich in Garching landet. Die US-Regierung hat ihre Position zweimal informell mitgeteilt: in einem Brief des Botschafters an den Münchner Oberbürgermeister und in einem sogenannten „Non- Paper“, das aus Washington direkt nach Bonn ging. Ich habe aber das Gefühl, daß Bonn weniger am jetzigen Reaktorkonzept hängt als die Staatsregierung in München. Wir haben in der deutschen Botschaft angefragt, ob die Bonner Regierung den Bau des Reaktors auch dann mitfinanzieren würde, wenn das Konzept geändert wird. Die Antwort war: Die Bundesregierung hält ihre Finanzierungszusagen ein, auch wenn die Münchner Forscher von hoch- auf niedrigangereichertes Uran umschalten. Mein Eindruck ist, daß Washington nicht ins Zentrum eines innerdeutschen Streits geraten will. Falls die Deutschen aber auf dem jetzigen Reaktorkonzept bestehen, wird es zu sehr ernsten Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Regierungen kommen. Fragen: Gerd Rosenkranz