Mit Goethe gegen das deutsche Militär

■ Der Politikwissenschaftler Ekkehart Krippendorff ist sich in seiner radikalen Militärkritik über die Jahrzehnte treu geblieben / Adenauer und Rühe im Vergleich

Mit einem Goethe-Zitat geht es los, und aus diesem Goethe-Zitat extrahiert Autor Ekkehart Krippendorff den archimedischen Punkt seiner Militärkritik: „Nicht die unbestreitbare Tatsache, daß Soldaten auch zum Töten ausgebildet werden, indem sie tödliche Waffen zu handhaben lernen, ist für den Blick Goethes entscheidend. Vielmehr sieht er das Wesentliche darin, daß in jedem Uniformträger die Menschheit getötet wird, weil mit der militärischen Disziplin jene Schönheit der Seele, die in jedem von uns ruht und die sich nur in einem Leben in Freiheit entfalten kann, verkrüppelt wird. Der Soldat kann nur darum zum Mörder werden, weil der Mord an ihm selbst schon zuvor begangen worden ist. Dies ist der eigentliche Angel- und Bezugspunkt meiner Militärkritik.“

Krippendorff legt mit diesem Buch eine Aufsatzsammlung aus den letzten 20 Jahren vor, die in der Art der Kritik am Militär tatsächlich fundamental ist. Am spannendsten sind die teilweise nur angedeuteten Analogien zwischen der Phase der deutschen „Wiederbewaffnung“, ursprünglich ganz ungeniert Remilitarisierung geheißen, und der heutigen Neudefinition dessen, was die Bundeswehr zukünftig tun soll. Interessant sind dabei nicht die militärischen Fragen im engeren Sinne, sondern die dahinterliegende politische Logik, die verblüffende Parallelen aufweist. Adenauer, ein durch und durch ziviler Kanzler, wußte natürlich, daß die Mehrheit der Deutschen Anfang der 50er Jahre keine neue Armee wollte und vom Krieg noch nachhaltig genug beeindruckt war. Trotzdem setzte er die Bundeswehr durch. Warum? Adenauer 1950: „Es wurde mir klar, daß in einer Zeit wie der unseren Politik soviel Kraft hat, wie die Kraft bedeutet, die hinter ihr steht. Wenn man keine Kraft besitzt, kann man keine Politik machen. Ohne Kraft wird unser Wort nicht beachtet.“

Dasselbe gilt für die heutige Debatte. Wer einmal gehört hat, wie Kinkel darüber jammert, bei wichtigen Entscheidungen im Kreis der Nato, der UNO oder der EU am Katzentisch sitzen zu müssen, da seine Bundeswehr, also die in diesen Kreisen übliche Währung, wertlos ist, weiß, was die Bundesregierung in der Out-of-area-Debatte wirklich umtreibt. „Was in den internationalen Beziehungen zählt“, so Krippendorff, „ist die Professionalität der politischen Machtausübung, die Herrschafts- Stabilität, die effiziente Regierungskompetenz. Dazu gehört ganz entscheidend, ja zentral das spezifische Militärgewicht, das eine politische Führung, ganz gleich welcher Verfassungs-Couleur, ins Spiel der Welt ... zu bringen vermag.“

Genau darum geht es Kinkel, Rühe und Co. Und genau diesen Mechanismus kennen auch Scharping und seine Außenpolitiker. Deshalb, das weiß der Autor, ist seine Militärkritik für die herrschende politische Klasse nicht diskussions- oder überhaupt wahrnehmungswürdig. Doch die mangelnde Einbindung in die Realpolitik mache das militärkritische Denken erst recht interventionsfähig, weil es von jeder taktischen Rücksichtnahme entbunden ist, so Krippendorff. Der Autor scheut sich nicht, in einem aktuellen Nachwort seine Militärkritik auch mit der Frage einer Militärintervention in Bosnien zu konfrontieren. Dabei bleibt er bei seiner zentralen These: Der Einsatz militärischer Gewalt schafft notwendigerweise neue militärische Gewalt, räumt aber gleichzeitig ein, daß jede andere, zivile Intervention nur langfristig erfolgreich sein kann und das Morden nicht unmittelbar stoppen würde. Deshalb, so läßt er durchblicken, wäre im Falle Jugoslawiens, nachdem die politischen Möglichkeiten erst einmal vertan wurden, vielleicht auch ein mehrgleisiges Vorgehen möglich. „Aber auch der leidenschaftlichste Militärkritiker würde sich, da es ihm vor allem um die Sache – die Rettung von Menschenleben – und nicht ums Rechtbehalten um jeden Preis geht, freuen, wenn er einmal wenigstens unrecht behielte.“ Jürgen Gottschlich

Ekkehart Krippendorff: „Militärkritik“. edition suhrkamp 1804, Ffm 1994, 224 S., 18,80 Mark