Zupfinstrumente en gros

Wer etwas auf sich hält, ist beim irischen Folkfestival im Londoner Finsbury Park dabei und feiert den Einfluß des Folks auf die restliche Welt  ■ Aus London Bernd Müller

Als Shane Mac Gowan zu einer gelallten Version von „Whiskey in the Jar“ ansetzt, brüllt vorn im Publikum jemand begeistert: „Der kann ja kaum noch stehen.“

Offenbar ist das einer von jenen Fans, die es damals lustig fanden, als er sich vor drei Jahren beinahe totgesoffen hatte. Seine neue Gruppe, The Popes, ist als „Rückkehr zu Mac Gowans Anfängen“ angekündigt: harte Musik ohne Blechflöte und Akkordeon. Als Kirsty Mac Coll zur Zugabe „Fairytale of New York“ auf die Bühne stapft, bricht erstmals an diesem Nachmittag Jubel aus.

„Die größte Zelebrierung irischer Musik in der Welt“ – so war der „Fleadh 1994“ im Londoner Finsbury Park im Juni angekündigt worden. Die Veranstaltung findet seit 1990 jeden Sommer statt. Nachdem die Londoner Stadtverwaltung, der „Greater London Council“ (GLC) unter dem Würgegriff der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher eingegangen war, hatte der aus Irland stammende Vince Power die Idee, an die ehedem vom GLC organisierten Open-air-Konzerte in Londons Parks anzuknüpfen.

Power ist einer der größten Musikveranstalter der englischen Hauptstadt und betreibt außerdem zwei der beliebtesten Musiksäle nördlich der Themse – darunter den „Mean Fiddler“, nach dem er sein Unternehmen benannt hat. Als Kompagnon suchte er sich die „Workers Beer Company“, deren Schankprofite an Gewerkschafts- und Bürgerinitiativen gehen.

Der „Fleadh“ – das ist das gälische Wort für „Fest“ – ist ein Festival der großen Namen: Neben Christy Moore, Van Morrison, Paul Brady, den Pogues und den Dubliners sind in den vergangenen Jahren auch „Iren ehrenhalber“ wie Bob Dylan aufgetreten. Andererseits ist Fleadh auch eine Art Gemeindefest. Ganze Familien machen sich an diesem sonnigen Samstag nachmittag in den Park auf, um die freundlich-friedliche Atmosphäre zu genießen. Dutzende von Initiativen decken das Publikum mit Flugblättern ein, es duftet nach chinesischer, mexikanischer, japanischer, karibischer, indischer und thailändischer Küche.

Angekündigt sind dreiunddreißig Gruppen und MusikerInnen auf drei Bühnen, dazu ein Komikerzelt mit zehn Auftritten. Auf der Hauptbühne tummelt sich alles, was Rang und Namen hat – unter anderen The Proclaimers, The Sawdoctors, The Cranberries, Christy Moore und Crowded House. Das große Zelt ist für die Hausbands vom „Mean Fiddler“ reserviert: Dervish, The Bucks, Eleanor Shanley, Frances Black, Mary Coughlan, Moving Hearts und Paul Brady. Auf der kleinen Freilichtbühne spielen vor allem irische Indie-Bands wie Ash, The Pale, The Frame, Blink und Fatima Mansions.

Allein schon diese Aufzählung zeugt vom Einfluß irischer Musik auf den Rest der Welt. Bei der Folkgruppe Dervish spielt ein „All-Ireland Fiddle Champion“ – der Gewinner des jährlichen Wettbewerbs in den verschiedensten Instrumenten – mit und stellt so die Verbindung zu einer Tradition her, die im 18. Jahrhundert schon im Aussterben begriffen schien, als die letzten der vom Adel protegierten Harfner zu „Harp Festivals“ zusammenkamen und den Niedergang ihrer hohen Kunst beklagten. Ländliche Musikanten eiferten solchen Wettbewerben nach, wenn sie zum „Duell“ gegeneinander antraten und ihr Publikum entscheiden ließen, wer die kunstvollsten „Jigs“ und „Reels“ zu spielen wußte.

Mit den großen Auswanderungswellen um die Mitte des 19. Jahrhunderts gelangten irische Bräuche samt der zugehörigen Musik nach Nordamerika, wo sie sich zu „Bluegrass Banjo Battles“ verpuppten und zur Entstehung der Country-music beitrugen.

In Irland wurden die althergebrachten Wettbewerbe für Flöte, Tin Whistle (Blechflöte), Pipes (Dudelsack), Fiddle (Geige) und Gesang nach 1950 wiederbelebt, um junge Musiker an die fast vergessene Volkskunst heranzuführen. TeilnehmerInnen dieser Wettbewerbe schlossen sich in den sechziger Jahren jenen Gruppen an, die als erste Welle des keltischen Folk bekannt wurden. Hinzu kamen MusikerInnen, die eher dem Rock 'n' Roll verbunden waren. Ein ganzes Arsenal an Zupfinstrumenten wurde eingebracht – neben Baß und Gitarre tauchten Mandola und Mandoline, Banjo und Bouzouki auf.

Solche Zusammenhänge werden einem beim „Fleadh“ immer wieder in Erinnerung gerufen. Christy Moore, in Irland schon fast zur Legende geworden, ist der Londoner Veranstaltung seit den Anfängen verbunden, und auch dieses Jahr läuft er in der warmen Abenddämmerung vor seinem ureigenen Publikum wieder zur Hochform auf. Seine Version von „Fairytale of New York“ ist langsamer, nüchterner und erwachsener als die Mac Gowans.

Danach wäre der richtige Zeitpunkt, den Heimweg anzutreten. Aber wer das Klischee von irischer Kultur triumphal bestätigt haben will, darf die Dubliners zum Abschluß nicht versäumen. Für viele Leute hat die irische Musik mit den Dubliners begonnen – für Shane Mac Gowan, der es für die letzten Zugaben gerade noch auf die Bühne schafft, endet sie heute mit ihnen.