Er ist einer aus Hoyerswerda

Der gerade gewählte PDS-Bürgermeister steht einer geschlossenen Front gegenüber  ■ Aus Hoyerswerda Annette Rogalla

Wenn Horst-Dieter Brähmig lacht, funkeln seine Augen, schöner können Grübchen nicht im Gesicht hüpfen, selbst die niedliche Lücke zwischen den Schneidezähnen fehlt nicht. Der Mann macht einen ausgesprochen sympathischen Einbdruck, ehrlich und offen. Wirklich so, wie man ihn von den PDS-Wahlplakaten kennt. Er hat das sprichwörtliche gewisse Etwas, und das liegt nicht nur am sommerfrischen Aussehen des Mittfünfzigers. Seine Lebensfreude leuchtet förmlich von innen heraus.

Horst-Dieter Brähmig ist der Volltreffer von Hoyerswerda. Mit ganzen 719 Stimmen Vorsprung machte er, der bisher Leiter des Straßenverkehrsamtes war, am vergangenen Sonntag das Rennen bei der Stichwahl um den Bürgermeisterposten. „Er war schon immer unser Lausejunge“, jubelt ein Parteifreund. Horst-Dieter Brähmig ist einer, auf den man zählen kann. Damals, in der SED, ein unauffälliger, aber zuverlässiger Genosse.

Nach der Wende wäre er gerne zu den Sozialdemokraten gegangen – wäre da nicht der Unvereinbarkeitsbeschluß gegen SED-Mitglieder gewesen. „Schade“, meint Brähmig. Das Interesse für die SPD blieb trotzdem. Seine persönliche Enttäuschung, ihr nicht anzugehören, redet er sich lieber klein: „Die Ost-SPDler Thierse und Schorlemmer wirken wie Sauerstoff auf mich, aber sie haben keine Konsequenz für die Partei.“ Die Politik der SPD werde eben immer noch in Bonn gemacht und nicht im Osten, sagt er.

In Hoyerswerda, an der Basis, hat Brähmig demnächst das Sagen. Exakt 51,6 Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben ihm am vergangenen Sonntag ihre Stimme. Zum 1. August beerbt er den CDU-Bürgermeister Armin Ahrendt, der vor vier Jahren aus dem Westen kam. Mit ihm wird wieder ein Einheimischer auf dem Chefsessel sitzen.

Gut 60.000 Einwohner zählt die Siedlung am Rande der Lausitz noch, die Ende der fünfziger Jahre für die Braunkohlearbeiter gebaut wurde und einst den Titel „sozialistische Musterstadt“ trug. Ordentlich abgezirkelt, aber schmerzhaft unharmonisch liegt hier noch immer alles nebeneinander: Einkaufspassage, Kneipe, Schulen, Kinderkrippen – tristes Leben, eingegossen in Beton.

Brähmig will die Stadt, die vor drei Jahren in die Schlagzeilen geriet wegen der Hatz auf Ausländer, zur „freundlichen, liebenswerten Stadt“ machen. Ob er auch nach Dresden zum Innenminister fährt und um die Zuteilung von Asylbewerbern bittet? „Das ist so eine Sache. Also, ehrlich: Nein, denn die Bürger hier sind noch nicht reif, Ausländer zu integrieren.“

Nein, verderben will er es sich mit niemand. Noch heute, drei Jahre nach dem Pogrom, erklärt Brähmig, daß diejenigen, die den Menschenjägern tagelang Beifall geklatscht haben, „eigentlich nicht wußten, was sie taten“. Freilich, mit den rechten Glatzen der Stadt würde er reden, „aber nur mit den Mitläufern, nicht mit den Anführern.“

Was hat Horst-Dieter Brähmig, was die anderen Kandidaten nicht hatten? Vor allem: er ist einer aus Hoyerswerda. Klaus Naumann, sein Gegenspieler von der SPD, wohnt drei Dörfer weiter, er gilt noch immer als „Zugezogener“. Brähmig dagegen verkörpert mit seiner Biographie so etwas wie Tradition. Als er1938 geboren wurde, war sein Vater Chef des Klinikums von Hoyerswerda. Er selbst wurde dort zum medizinisch-technischen Assistenten ausgebildet. 1971 trat er in die SED ein – nicht ungewöhnlich für jemand, der beim Rat des Kreises arbeiten wollte, in der Abteilung Gesundheit.

An die Panzer, die zwei Jahre zuvor durch Hoyerswerda in die Tschechoslowakei gerollt waren, erinnert er sich: „Ja, die Panzer, die haben eine tiefe Spur im frischen Straßenbeton hinterlassen.“ Was sollte er machen? Eben erst hatte er geheiratet, als die SED-Kreisleitung ihn zum Gespräch vorlud. Der Einstieg in die Partei brachte den sofortigen beruflichen Aufstieg mit 212 Mark mehr in der Lohntüte.

Brähmig ist kein Mann, der rückwärts schaut. Keine Nostalgie, auch keine Spuren von Ossi-Trübsinn, von herabgezogenen Falten um die Mundwinkel. Nein, neugierig ist er auf die neue Gesellschaft, er will sie mitgestalten. Mit seinem fröhlichen Lächeln signalisiert er ein neues Lebensgefühl. Konzepte der Stadtentwicklung? Die kann er noch nicht präsentieren, so wenig wie praktikable Ideen, woher denn neue Arbeitsplätze kommen sollen. Fürs erste will er seine Mitarbeiter in der Verwaltung um eine Zustandsbilanz der Stadt bitten. Und dann weitersehen.

Dem neuen Ost-Optimismus der PDS hatten die Westparteien wenig entgegenzusetzen. Sie glaubten, das Etikett „SED-Nachfolgepartei“ reiche aus, sie und ihren Kandidaten mit einem Appell an die Gemeinsamkeit der Demokraten von dem Bürgermeistersessel fernzuhalten.

Zum Beispiel CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Nach dem Patt in der ersten Runde der Kommunalwahlen eilte er persönlich in die Braunkohlestadt. Eindringlich beschwor er seine Parteifreunde: „Das Wohl der Stadt ist wichtiger als das einer Partei“, und sorgte dafür, daß der CDU-Kandidat zugunsten des SPDlers zurückzog. Gemeinsam machten sie jetzt alle nur noch Kampagne gegen den „Investorenschreck“, und Handzettel kursierten in der Stadt mit der Parole: „Wählt den Kandidaten der Nationalen Front. Wählt Klaus Naumann, SPD.“

Doch das Unternehmen ging nach hinten los. Sogar SPD-Anhänger wählten den PDS-Kandidaten, aus Trotz. Wie Henning Volker, Hausmeister am Zweiten Gymnasium von Hoyerswerda: „Ich mußte dieser unfairen Kampagne eine Quittung geben.“ Brähmig sei schließlich „ein ebenso korrekter Mann wie der unterlegene SPD-Kandidat Naumann auch“.

Dessen Fraktion ist heute ganz mulmig zumute. SPD-Frau Barbara Wittig, die im September für den Landtag kandidiert, hat sich auf dem Markt häufiger den Vorwurf anhören müssen, die SPD habe mit ihrer Einheitsfront gegen die PDS „Betrug an den Wählern“ begangen. Sie bereut, daß sich die SPD 1991 nicht dem Fußvolk der SED geöffnet hat. „Wir haben sie verprellt, und heute fehlen sie uns“, bekennt sie.

Trotz seines Sieges muß Horst- Dieter Brähmig erst noch die Mehrheit des Stadtparlaments hinter sich bringen. Zwar ist die PDS stärkste Fraktion, aber CDU und SPD halten zusammen 53 Prozent der Sitze. Und beide weigern sich hartnäckig, mit dem PDSler zusammenzuarbeiten. „Dem Brähmig sage ich guten Tag und auf Wiedersehen, aber zweiter Mann werde ich nicht hinter ihm“, schnaubt Klaus Naumann, der knapp unterlegene SPD-Mann.

Und CDU-Fraktionschef Josef Peters, 42, ist erschüttert, wie kurz die Halbwertzeit der DDR-Geschichte im Wählerbewußtsein ist: „Es kann nicht sein, daß ehemalige Stasimitarbeiter wieder das Sagen haben.“ Gemeint ist damit Petra Hinze, künftige PDS-Stadtverordnete. Am 6. Oktober 1989 hatte sie, damals Mitglied des Rates für Kultur, die Kabarettisten Wenzel und Mensching mit Polizeieskorte aus einem Jugendklub hinauswerfen lassen, weil sie befürchtete, die beiden würden das Manifest des Neuen Forums verlesen. Der Chef der zuständigen SED-Bezirksleitung Dresden hieß damals Hans Modrow.

Daran scheint sich Petra Hinze nicht mehr zu erinnern. Heute verspricht die 52jährige Diplomlehrerin, sich „für ein kulturfreundliches Hoyerswerda einzusetzen“ und sich „Zwängen zu widersetzen, die ich nicht akzeptieren kann“. Auch bei Paul Nickel von der CDU- Fraktion, Fleischer und arbeitslos, verfinstert sich das Gesicht, wenn er daran denkt, daß er künftig mit dem ehemaligen SED-Kreisleiter Heinz Auerswald Stadtpolitik machen soll. Der empfahl sich den Wählern mit dem Spruch: „Ich weiß aus Gesprächen mit den Bürgern der Stadt, daß sie sich durch meine Person vertreten fühlen würden.“

Reicht das? Horst-Dieter Brähmig wiegelt ab. Bevor das neue Stadtparlament sich konstituiert, will er Petra Hinze und die damals hinausgeworfenen Kabarettisten zu einer öffentlichen „Aussprache“ bitten. Danach soll die PDS- Fraktion entscheiden, ob sie der Kandidatin den Rückzug aus der Politik nahelegt. Allerdings – keiner der PDS-Kandidaten habe seine SED-Vergangenheit bei der Kommunalwahl verschwiegen. Die Wähler, sagt Brähmig, hätten ganz bewußt PDS gewählt.

Am straff organisierten Parteiapparat kann es in der Tat nicht gelegen haben. Gerade einmal eine Handvoll Aktive treffen sich jeden Donnerstag nach Feierabend für zwei Stündchen im Parteibüro, das nicht so aussieht, als sei es seit der Wende renoviert worden. Wer unter der Woche hier anruft, muß seine Wünsche auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Und das kommunale PDS-Wahlprogramm ist nicht einmal gedruckt, sondern, mit handschriftlichen Verbesserungen versehen, auf billigem rosarotem Papier kopiert. Gesiegt haben sie nicht mit Aktivisten oder Programm. Gesiegt haben sie, weil sie nicht schamhaft verschwiegen, daß sie in der SED dabeigewesen waren.