Bloß keine Mißverständnisse mehr

Antrittsrede des Bundespräsidenten: Herzog macht es diesmal allen recht/ Weizsäckers Abschiedskritik erreicht den Adressaten: Die Union dosiert ihren Applaus sorgfältig  ■ Aus Berlin Hans Monath

Zum Abschied las Richard von Weizsäcker im Reichstag den Seinen noch einmal die Leviten: CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble vergrub sein Gesicht zeitweise in den verschränkten Händen, des Kanzlers Mimik gefror in einem gefällig selbstsicher wirkenden Lächeln, als der scheidende Bundespräsident bei der Ansprache der ungeliebten Tabuthemen deutlich Stellung bezog – gegen die Blockadehaltung der Union in der Ausländerpolitik und gegen die Verdrängung von Massenarbeitslosigkeit als große Herausforderung für die Politik.

Achtung und Applaus aller Fraktionen waren dem Präsidenten nach zehn Jahren Amtszeit gewiß. Aber in der Reaktion auf seine Ansprache wurde noch einmal deutlich, daß Richard von Weizsäcker sich nicht scheut, seinen Überzeugungen auch gegen deutliche politische Mehrheiten beredten Ausdruck zu verleihen.

So rührten sich auf den Unionsbänken nur einige wenige Hände, als er „neue Regelungen für Einwanderung und Staatsangehörigkeit“ forderte und mahnte, sich nicht vor gesellschaftlicher Wirklichkeit zu verstecken: „Wer das Stichwort Einwanderungspolitik tabuisieren will, weil er sonst ausländerfeindliche Ausschreitungen befürchtet, der stellt die Zusammenhänge auf den Kopf.“ Nur die Opposition und die Liberalen applaudierten.

Nicht anders war es, als Weizsäcker klarmachte, daß Gewalttaten gegen Ausländer nicht spontan entstehen, sondern ein bewußt geschürtes Klima zur Voraussetzung haben, daß die Duldung solcher Ausschreitungen gegen Nichtdeutsche zuletzt auch die Unbeteiligten gefährdet: „Wer sich wegduckt, akzeptiert am Ende die Herrschaft und Gewalt von anderen auch über sich selbst.“

Von der klaren Diktion, von der festen Stimme seines Vorgängers hob sich Roman Herzogs Vortrag in wenig vorteilhafter Weise ab. Wie schon nach seiner Wahl am 23. Mai schien er bei der Ablegung der Eidesformel und den ersten Sätzen seiner Rede wieder gegen eine innere Rührung ankämpfen zu müssen, die ihn zu übermannen drohte. Auch den Dank an seinen Vorgänger und dessen Ehefrau Marianne brachte der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident im Reichstag nur mit sehr gequetschter Stimme heraus.

Zunächst unterschieden sich die politischen Blöcke in ihrer Reaktion auf seinen Auftritt: Fast rhythmisch klatschte die Union, als Herzog indirekt an seine erste Rede vom 23. Mai erinnerte und sich gegen neue Kritik zu wappnen suchte. Aus der Tatsache, daß er ein Problem nicht erwähne, dürfe nicht geschlossen werden, „er sei damit nicht vertraut und habe dazu vielleicht nicht einmal etwas zu sagen.“

Aber gerade jene Themen, die Kritiker in der Rede nach seiner Wahl im Mai vermißt hatten, sprach Herzog dann ausdrücklich an – und er drückte sich weniger mißverständlich aus als damals. In der SPD-Fraktion, so erklärten nachher Abgeordnete, wuchs die Erleichterung mit der Dauer von Herzogs Rede von Minute zu Minute.

Die Außenpolitik bildete zwar das erste Themenfeld, aber der neue Bundespräsident bekannte sich kompromißlos zur Westbindung und zur Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union. Er stellte klar, daß er den nationalsozialistischen Völkermord für unvergleichlich hält. Er sprach die Gewalt gegen Ausländer an und beschäftigte sich in einer langen Passage mit den Problemen der neuen Bundesländer und der inneren Einheit, ohne wie im Mai allzu paternalistisch („Die Menschen im Osten müssen begreifen ...“) mit den ehemaligen DDR-Bürgern umzugehen. Im Gegenteil: Er würdigte ihre Revolution und begrüßte ausdrücklich, daß ihre Erfahrungen in der gemeinsamen Republik zum Tragen kommen werden.

So waren denn auch die Kritiker der Rede vom 23. Mai mit dem gestrigen Tag zufrieden. Als „ganz ausgezeichnet“ bezeichnete Friedbert Pflüger, nationalismusferner CDU-Abgeordneter, die Ansprache, und auch SPD-Kollege Gerd Wartenberg fand den Vortrag „inhaltlich nicht zu beanstanden“. Wolfgang Ullmann von Bündnis 90/ Die Grünen begrüßte, daß Herzog die Mißverständnisse ausgeräumt hatte und lobte ebenfalls. Im sprachlichen Detail der Passagen über das Verhältnis von Deutschen und Ausländern machte der Bürgerrechtler freilich Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen Bundespräsidenten aus: „Da sieht man ganz deutlich, daß Herzog ein konservativerer Typ ist als von Weizsäcker.“