„Anker im Sturm“

■ Fußball spielen mit St. Benedikts Segen

Newark (taz) – Rafik, Mike und José sind niedergeschlagen, wie Jungs sind, wenn ihre Mannschaft verloren hat. Ihre Mannschaft ist Amerika, und sie wissen, daß sie wohl bald am Ende ist. Rafik kommt aus Nigeria und ist Moslem, Mike ist gebürtiger Ire und katholisch, José Mexikaner und Baptist. Trotzdem Amerika? Ja, die Trauer, die sie eint, hat Namen: Tab Ramos und Claudio Reyna. Die beiden US-Nationalspieler haben in derselben Schulbank gesessen wie sie – in der Benediktiner- Abtei im Staate New Jersey.

Es ist eine eigene Welt, da draußen vor den Toren New Yorks, wo so gar nichts an die Glitterwelt von Manhattan erinnert. Newark ist heruntergekommen. Mittendrin die Mönche und ihre 520 Schüler. Benedikt als Brennglas. Alle ethnischen Gruppen in ihrer Schule gibt es in der Stadt auch. Schwarzafrikaner (65 Prozent), Hispanier (25), weiße Mittelklasse (10), insgesamt 15 Nationen, und dennoch haben sie einen gemeinsamen Nenner gefunden. Es ist das schlichte Credo der Benediktiner: „Ich vertraue dir.“ Ist's erstaunlich, daß hier der Sport eine zentrale Rolle spielt? Daß der „Trophy-Room“ in der 1868 gegründeten Klosterschule überquillt vor Pokalen? „Nein“, sagt Rick Jacobs, „im Sport finden sie zusammen, weil sie einander achten müssen.“

Der 40jährige Sohn eines russischen Juden und einer spanisch- portugiesischen Mutter ist Sportlehrer mit Fachrichtung Fußball und seltener Liberalität. Nie würde er auf die Idee kommen, José, dem Mexikaner, das Dribbeln auszutreiben, Mike, den irischen Kämpfer, zum Filigrantechniker umzupolen. Selbst Sven, der „German Panzer“ aus Hamburg, durfte seinem Hauruckstil treu bleiben. „Sie müssen ihre Philosophie selbst finden. Gemeinsam im Team“, versichert Jacobs. Wer nachprüfen will, wie wertvoll und brüchig zugleich dieser Konsens ist, braucht nur in die Schule nebenan gehen, zur staatlichen St. Mary's School, wo schwarze 14jährige ihre Babys im Pausenhof herumtragen, unverhohlen gedealt wird. Er braucht sich nur vom Ende der 60er Jahre erzählen zu lassen, als die Rassenunruhen Newark erschütterten. Sie haben vor den Ziegelsteinmauern der Benediktiner nicht haltgemacht – zum erstenmal mußte der Schulbetrieb für ein Jahr eingestellt werden.

Eine normale Privatschule verlangt zum Unterhalt mindestens 12.000 Dollar pro Kind und Jahr. Die Benediktiner von Newark begnügen sich mit 3.000 Dollar und schöpfen den Rest aus dem Reservoir der gläubigen Spender. Was das mit Tab Ramos und Claudio Reyna zu tun hat? Ganz einfach, die beiden Kids armer Einwanderer hätten sich diese Ausbildung nie leisten können. Darauf ist Rick Jacobs ein bißchen stolz, auch wenn er dies in aller amerikanischer Coolness herunterspielt. „Es zeigt nur“, sagt er, „daß wir hier gute Arbeit leisten.“ Sehr gute: Tab hat es bis in die spanische Liga (Betis Sevilla) geschafft, er ist für ihn der „Motor“ des US-Teams und eine treue Seele zudem. Immer, wenn er auf Heimaturlaub ist, kommt er auch auf einen Sprung vorbei. Obwohl er doch jetzt eine nationale Zelebrität ist und bereits für „Snickers“ werben darf. „Ich hasse Training, aber ich liebe den Erfolg“, sagt er da im Fernsehen.

Und Claudio Reyna? Der 20jährige Youngster im US-Team war Jacobs Lieblingsschüler. Ein kompletter Fußballer, das „größte Talent, das die USA je hatten“, meint Jacobs. Er vergleicht den Filius einer argentinisch-portugiesischen Familie schon heute mit Johan Cruyff, dem genialen Holländer. Claudio werde seinen Weg machen, nach Europa ziehen, auch wenn ihn jetzt eine Verletzung zurückgeworfen habe, prophezeit der Mentor. Dafür hätten ihm die Mönche genug Kraft mitgegeben. Wie gesagt: „Ich vertraue dir.“ Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum Tab und Claudio immer wieder zu ihrer alten Schule zurückkehren, die ihr einstiger Sportlehrer einen „Anker im Sturm“ nennt. Vielleicht gucken sie sich dann die naiven Wandgemälde an. Auf einem segnet ein Priester Ministranten und Sportler. Darunter steht: „Mit dem heiligen Benedikt wird dieses Haus jeden Sturm überstehen.“ So wie Rafik, Mike und José die Niederlage der amerikanischen Mannschaft heute gegen Brasilien? Josef-Otto Freudenreich