■ Der japanische Historiker Haruki Wada zu Nordkorea: „Kim, der große Unentschiedene“
Nordkoreas Präsident hat in den vergangenen Monaten hoch gepokert: Seine Weigerung, internationale Kontrollen des nordkoreanischen Atomprogramms zu akzeptieren, schürte die Angst vor der Unberechenbarkeit seines Regimes. Die USA forderten Sanktionen, Südkorea sprach von seiner Kriegsbereitschaft. Durch Vermittlung des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter kam eine überraschende Wendung zustande: Erstmals wollen die Staatschefs Nord- und Südkoreas Ende Juli miteinander sprechen. Auch die USA verhandeln wieder mit Pjöngjang. Von Sanktionen ist vorläufig nicht mehr die Rede. Haruki Wada ist Professor an der Tokio-Universität und Spezialist für die Geschichte Rußlands, Chinas und Nordkoreas.
taz: Halten Sie Verhandlungen mit Nordkorea jetzt für sinnvoll?
Haruki Wada: Sanktionen wären angemessen gewesen, wenn sich der Rest der Welt zum Ziel gesetzt hätte, das nordkoreanische Regime zu stürzen. Doch im Grunde wollte niemand so weit gehen, weil im Fall einer militärischen Eskalation nicht auszuschließen ist, daß sich die Nordkoreaner bis an ihr Ende wehren. Ich halte deshalb die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea für richtig.
Dürfen wir die Kriegsdrohungen Pjöngjangs getrost vergessen?
Ja. Nordkoreas militärische Kraft hatte bereits während des Koreakriegs 1950 ihren Höhepunkt erreicht. Seitdem haben sich die militärischen Kräfteverhältnisse zwischen den beiden Koreas so dramatisch verändert, daß sich die Nordkoreaner ihrer Chancenlosigkeit bei einem militärischen Konflikt voll bewußt sind.
Dennoch gibt es im Westen Zweifel, ob die Regierung unter Kim Il Sung und seinem Sohn noch berechenbar ist.
Aus allen Informationen, die Besucher Nordkoreas mitgebracht haben, läßt sich schließen, daß Kim Il Sung mindestens zu 90 Prozent erkenntnis- und handlungsfähig ist. Es ist vorerst unvorstellbar, daß er von sich aus zu militärischen Mitteln greift.
Hat sich denn die Konfrontationsstrategie der letzten Monate aus seiner Sicht bewährt?
Nordkorea ist isolierter denn je, seit es nach Ende des Kalten Krieges die Sowjetunion und China als Verbündete verloren hat. Eingeklemmt zwischen den Großmächten, benutzt das Kim-Regime die Atomdrohung nun als sicherheitsstrategisches Mittel. Damit ist es Nordkorea im vergangenen Jahr gelungen, zum ersten Mal seit vierzig Jahren direkte Verhandlungen mit den USA aufzunehmen. Gespräche mit den USA in Genf stellen für Pjöngjang einen außenpolitischen Erfolg dar.
Weshalb beharrt Nordkorea auf Verhandlungen mit den USA?
Nordkorea ist immer noch ein Partisanenstaat. Dieses System kann in Zeiten der Entspannung nicht überleben. Wir wissen alle, daß Gorbatschow mit allen Ländern bessere Beziehungen suchte und die Sowjetunion in diesem Prozeß aufgelöst wurde. China dagegen hat stets eine doppelgleisige Politik gefahren: einerseits Konfrontation mit der UdSSR, andererseits Entspannung mit Amerika. So gelang es China bisher, das System zu erhalten. Den gleichen Weg versucht Nordkorea.
Wie sicher ist dabei, daß Nordkorea überhaupt ein Interesse an Entspannung hat?
Andernfalls droht ein Teufelskreis: Wenn Kim äußere Spannungen erzeugt, um das innere System zu erhalten, muß er auch im Inneren härter vorgehen und verstärkt damit Wirtschaftsmisere und Isolation. Tatsächlich gibt es für das Regime nur die Möglichkeit, China zum Modell zu nehmen. Das aber heißt Reform und Öffnung. Theoretisch ist Pjöngjang auch längst auf diesem Standpunkt, doch bleibt bei Kim die Unentschiedenheit, ob er den notwendigen Veränderungsprozeß überleben kann. Kim steht vor der Tür und zögert, sie zu öffnen.
Für wie gravierend halten Sie Nordkoreas Staatsverbrechen?
Vergleicht man Nordkorea mit den ehemals kommunistischen Ländern Osteuropas, fällt vor allem die sehr viel stärkere ideologische Kontrolle der Bevölkerung auf. Der Führer gilt als absolut und regiert als Diktator. Ich zweifle nicht daran, daß es in Nordkorea heute sehr viele Arbeitslager gibt. Man darf dennoch nicht vergessen, daß viele Menschen noch während des Koreakrieges in den Süden flüchteten. Viele, die damals im Norden blieben, entschieden sich freiwillig für Kim. Trotz willkürlicher Verhaftungen und Arbeitslager glaube ich aber nicht, daß der Unterdrückungsgrad in Nordkorea sich sehr von dem in den ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas unterscheidet.
Kim ist also kein Hitler?
Für uns liegt es näher, an die letzten Kriegsjahre in Japan zu denken. Damals war klar, daß Japan den Krieg verliert. Die japanischen Führer aber sagten, wir müssen bis zum letzten Moment kämpfen, und fast alle waren zum Mitmachen bereit.
Führer und Volk blieben also doch zusammen. Kim ist für die Nordkoreaner immer noch der Held, der gegen Japan kämpfte. Er hat seine Autorität bewahrt.
Woher nehmen Sie Ihre heutige Gelassenheit im Umgang mit dem Kim-Regime?
Der Staatssozialismus ist ein Produkt der Vergangenheit. China und Vietnam befinden sich im Prozeß der Marktöffnung. Nordkorea kann auf Dauer nicht allein am alten System festhalten. Wir sollten Nordkorea deshalb von außen ermutigen, Reformen selbst in Gang zu setzen und sich dem Rest der Welt zu öffnen. Das ist humanistischer und auch sicherheitspolitisch klüger, als das Land unter Druck zu setzen und eine potentiell gefährliche Konfrontation zu suchen. Schon die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Washington und Pjöngjang wäre ein großer Schritt zu einer Veränderung, wie sie in anderen staatssozialistischen Ländern stattgefunden hat.
Im Sinne eines solchen Pragmatismus plädieren asiatische Politiker immer wieder für Geduld. Ganz gleich, ob es um Menschenrechte in China oder die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags in Nordkorea geht – der Westen möge nicht auf Prinzipien bestehen. Teilen Sie diese Ansichten?
China und Vietnam haben gegen den westlichen Imperialismus gekämpft. Sie reagieren deshalb auf Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen aus dem Westen empfindlich. Nordkorea kann auf Länder wie Indien und Pakistan verweisen, die dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sind und deshalb den internationalen Kontrollen entgehen. Die moralischen Doppelstandards des Westens werden in Asien sehr genau erkannt, was natürlich nichts daran ändert, daß die Menschenrechte auch in Asien respektiert werden müssen und Nordkorea sich den internationalen Atomkontrollen unterwerfen muß.
Die Nordkoreakrise hat dennoch die innerasiatische Diplomatie gestärkt. Wird Asien gegenüber Kim eigene moralische Kategorien entwerfen?
Japan hätte hier eine große Verantwortung. Doch fehlt es Japan nach wie vor an Selbstbewußtsein und Willen, mit einem kritischen Nachdenken über die eigene Vergangenheit und die Bedeutung der Demokratie auf andere asiatische Länder politisch überzeugend einzuwirken. Japaner haben sich nicht kritisch mit der eigenen Geschichte beschäftigt, es hat keine Entschädigung der Kriegsopfer gegeben, und die in Japan lebenden Koreaner werden weiter diskriminiert. Asien fehlt auf lange Sicht eine moralische Führungsmacht. Interview: Georg Blume und
Chikako Yamamoto
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