Schillerndes Angebot für Versicherungskunden

■ Start für EU-Binnenmarkt der Versicherungen / Bundesrat muß noch zustimmen

Berlin (taz) – Soll das Fahrrad rein oder die Wäschestange raus aus der Hausratversicherung? Das wird sich der Verbraucher künftig noch mehr als bisher fragen: Wenn der Bundestag am 8. Juli zustimmt, startet für die deutschen Kunden ab Mitte Juli die „neue Unübersichtlichkeit“ eines völlig liberalisierten europäischen Versicherungsmarktes. Versicherungsgesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union dürfen dann EU-weit ihre Policen verkaufen: Englische in Deutschland, Spanische in Griechenland, Deutsche in Frankreich.

Damit das funktioniert, werden die Unternehmen nach dem Herkunftslandprinzip kontrolliert: Jeder in dem Land, in dem er seinen Sitz hat. Auch die Art der Kontrolle ändert sich: Tarife und Bedingungen müssen nicht mehr genehmigt und können vom Versicherer frei bestimmt werden. Die zuständigen Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten müssen nur kontrollieren, ob ihre Versicherer über eine finanzielle Mindestausstattung verfügen, um die anfallenden Schäden regulieren zu können.

Die größten Veränderungen wird es nach Meinung von Experten bei den Produkten selbst geben. „Für uns ist die Freiheit der Produktgestaltung wichtiger als die Öffnung der Grenzen", bestätigt Susanne Crecelius von der Mannheimer Versicherung. Die Gesellschaft, die lediglich drei Zweigniederlassungen im europäischen Ausland unterhält, sieht auch künftig ihr Hauptarbeitsfeld auf dem heimischen Markt. Und zwar weniger im Massengeschäft als mit Nischenprogrammen für Zielgruppen wie Juweliere, Berufsmusiker, Winzer, Augenoptiker, Ärzte und Freiberufler.

„Es ist kein Paukenschlag, bei dem direkt alles anders wird“, beschwichtigt Herbert Geiger vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft. „Im Augenblick jedenfalls ist es ruhig.“ Noch, denn die deutsche Versicherungsbranche wird in den kommenden Jahren in Bewegung geraten wie schon lange nicht mehr. Seit die zuständigen EU-Minister im Februar 1992 für Juli 1994 die Liberalisierung besiegelt haben, basteln die Versicherungskonzerne schließlich europaweit an neuen Policen und Tarifen.

Dabei werden wohl die Autofahrer den Binnenmarkt für Versicherungen am schnellsten zu spüren bekommen: Wer wenig fährt, wird künftig mit günstigen Tarifen belohnt, wer viel fährt wird tiefer ins Portemonnaie greifen müssen. Mit dem neuen Gesetz fällt in der Autohaftpflicht allerdings auch der Annahmezwang weg. Die Autoversicherer können Kunden ablehnen und müssen lediglich ein vom Tarif abweichendes Angebot machen. „Diskriminierungen nach Geschlecht, Ausbildung oder Nationalität sind nicht auszuschließen“, warnt der Geschäftsführer des Bundes der Versicherten, Hans Dieter Meyer. Führerscheinneulinge und Autofahrer, die bereits mehrere Unfälle verursacht haben, müssen fürchten, nicht mehr von jeder Versicherung angenommen zu werden. Möglich sind sogar höhere Tarife für Autofahrer mit schlechten Schulnoten – wie in Kalifornien.

„Deutsche und ausländische Unternehmen werden Mogelpackungen anbieten, die der einzelne Verbraucher gar nicht mehr erkennen kann“, warnt Meyer. Ein beliebtes Beispiel ist hier die Sturmversicherung. Die könnte in Zukunft extrem preisgünstig werden, aber Schäden nicht wie bisher ab Windstärke acht, sondern erst ab Sturmstärke 12 abdecken. Und die kommen erfahrungsgemäß in Europa äußerst selten vor.

Mit genormten Tarifen ist es auch bei den Lebensversicherungen bald vorbei. Angesichts der ausländischen Konkurrenz sieht Meyer hier jedoch „einen Lichtblick am Horizont“, weil die Angebote aus dem Ausland wesentlich transparenter seien als hierzulande. „Man weiß, wieviel Geld man wofür bezahlt und welche Rendite man bekommt.“

Meyer warnt die Verbraucher jedoch vor vorschnellen Schritten: In Deutschland hätten viele Unternehmen durch Knebelverträge mit Laufzeiten von bis zu zehn Jahren Vorsorge getroffen, um ihre Kunden nicht so schnell an die ausländische Konkurrenz zu verlieren. Bei frühen Kündigungen bekomme man so weniger Geld zurück, als man eingezahlt habe.

Kein Wunder also, daß sich die Herren in den Chefetagen deutscher Versicherungen gelassen in ihren Sesseln zurücklehnen und ihre Pläne noch in den Schubladen lassen. „Wir wollen die Konkurrenz schließlich nicht vor der Zeit schlau machen“, so Allianz-Sprecher Josef Kolb. Barbara Baltsch