: Vorurteile auch in Bremen
■ Trüpel will für besseres Verhältnis zwischen Deutschen und Juden sorgen
„Wir haben Juden gegenüber eine besondere Verantwortung“, sagt Helga Trüpel, Senatorin für Kultur und Ausländerintegration. Nach dem Völkermord im Nationalsozialismus seien alle Deutschen verpflichtet, gegen Antisemitismus und Rassismus vorzugehen. Trüpel will deshalb im kommenden Jahr verstärkt Kampagnen gegen Antisemitismus durchführen und die deutsch-jüdischen Beziehungen verbessern. Im Mai 1995 ist eine „Israel-Kultur-Woche“ ähnlich der „Namibia-Woche“ geplant, anläßlich der Bremer Literaturwoche soll eine Ausstellung über „Jüdisches in Kalifornien“ zur Aufklärung der BremerInnen über eine fremdgewordene Kultur beitragen.
Nach den Mordanschlägen von Solingen hatte das Ressort bereits das Programm der amerikanischen Anti Defamation League in Bremen eingeführt, die gegen Diskriminierung von Minderheiten arbeiten. Das Programm setzt „nicht nur auf die rationale Ablehnung von Rassismus und Antisemitismus, sondern auch auf die emotionale“. Seit gut einem Jahr klärt ein nur hierfür freigestellter Lehrer KollegInnen auf, hofft so Toleranz weiter zu verbreiten. Nachdem die bremischen LehrerInnen geschult wurden, sollen nun auch PolizistInnen und TrainerInnen der Sportvereine aufgeklärt werden. „Bislang war das Programm erfolgreich“ meint die Senatorin.
Seit 1991 nimmt das Land Bremen wie auch alle anderen Bundesländer jüdische Flüchtlinge aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion auf. Die MigrantInnen dürfen dank der Kontingentsbestimmungen der Bundesregierung nach Deutschland einreisen. Nach manchmal monatelangem Warten in den deutschen Botschaften in Kiew, St. Petersburg oder Moskau, konnten seit 1991 jährlich rund 10.000 Juden und Jüdinnen aus der GUS nach Deutschland einreisen. Rund 250 leben mittlerweile in Bremen. Die aus sehr unterschiedlichen Regionen stammenden Menschen bereichern die kleine jüdische Gemeinde der Hansestadt zumindest zahlenmäßig. Noch vor wenigen Jahren zählte die Gemeinde knapp 140 meist ältere Mitglieder, die Gemeinde drohte zu vergreisen.
Doch so einfach ist das mit dem Zuwachs aus dem Osten nicht. Denn die aus der Ukraine, Rußland oder Moldawien stammenden Juden „haben Schwierigkeiten, sich in die jüdische Gemeinde zu integrieren“, sagt Elvira Noa, Ansprechpartnerin für jüdische MigrantInnen in der Behörde für Kultur und Ausländerintegration. In der Sowjetunion waren jüdische Feste verboten, soweit sie nicht rein historische Wurzeln hatten. Die diskriminierten Juden kennen daher viele religiösen Feste nicht mehr, sprechen kein Hebräisch und haben keinen Bezug zum Gottesdienst. Die bremischen Juden „hatten hohe Erwartungen, wurden aber enttäuscht“, sagt Elvira Noa. Sie betreut die Kontingentsflüchtlinge und hilft bei der Wohnungs- und Arbeitssuche.
Denn auch in der angeblich so toleranten Hansestadt Bremen spüren die ExilantInnen Vorurteile gegen Juden. Oft werden sie mit den gleichen Vorbehalten konfrontiert wie in der Heimat. Wohnheime lehnen die Menschen ab, sobald sie wissen, daß sie Juden sind. „Sollen wir sagen, daß wir Juden sind?“, fragen die MigrantInnen Elvira Noa daher oft. Zum nächsten Kurs sollte das Auswärtige Amt auch mal ihren Mitarbeiter aus der Visa-Abteilung in der deutschen Botschaft in Moskau anmelden. Der nämlich ist nach Angaben von Trüpel und Noa für seine antisemitische Haltung berüchtigt: Er lehnt die meisten der von Juden vorgelegten Ausreiseanträge ab, die in anderen russischen Städten zugelassen werden. fok
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