Gesundheitszentren auf dem Land erreichen wenige

■ Ägyptens Bevölkerungskonzept für die neunziger Jahre sieht in der Familienplanung inzwischen nur einen Aspekt von Bevölkerungspolitik unter vielen

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet laufen in der ägyptischen Hauptstadt die Vorbereitungen für die „größte internationale Konferenz der Dekade“ (Galal Raschidi, Sprecher des Bevölkerungsministeriums) auf Hochtouren. Neben 40 Staatsoberhäuptern, den 7.000 offiziellen Delegierten und 3.000 Medienvertretern werden zur Weltbevölkerungskonferenz der UNO (ICPD) Tausende von RepräsentantInnen von Frauen- und entwicklungspolitischen Gruppen, von Umwelt- und Gesundheitsinitiativen erwartet. 120 Hotels und die Gästehäuser der Universitäten und der Armee sind schon jetzt für die Zeit vom 5. bis 13. September ausgebucht. Und mehrere Nilkreuzer, die sonst nur Touristen zwischen Luxor und Assuan zu den pharaonischen Sehenswürdigkeiten schippern, werden Kurs auf Kairo nehmen.

70 Millionen Dollar wird das Land nach Schätzungen von Galal Raschidi zusätzlich einnehmen, und manch einer der Delegierten wird, so hofft er, nach der Rückkehr in sein Heimatland die touristischen Reize Ägyptens anpreisen. Aber Ägypten sei auch ein moralisches „donor country“, das auf eine lange bevölkerungspolitische Erfahrung zurückblickt, von der viele Länder der Dritten Welt profitieren könnten, meint er. Immerhin sei Staatspräsident Mubarak erst kürzlich von der UNO für seine Bevölkerungspolitik ausgezeichnet worden. Indiz dafür: Die Zuwachsrate der Bevölkerung ist von 3,9 Prozent in den Sechzigern auf knapp unter zwei Prozent in diesem Jahr gesunken.

1962 wurde in Kairo ein Rat für Bevölkerungsangelegenheiten gegründet, der seine Aktivitäten aber anfangs ausschließlich auf die Senkung der Geburtenrate und Verteilung von Verhütungsmitteln beschränkte – zunächst mit wenig Resonanz. Erst in den siebziger Jahren begannen auch viele einfache Menschen, vor allem auf dem Land, gezwungenermaßen über Familienplanung nachzudenken. Ägypten besteht fast ausschließlich aus Wüste, und die heute 57 Millionen Menschen leben in dem nur einige Kilometer breiten Niltal und im Nildelta, einem Territorium, das mit 40.000 Quadratkilometern in etwa der Größe des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen entspricht. Durch die Erbteilung wurden die Parzellen immer kleiner, und durch die teilweise Rücknahme der Landreform verloren viele Bauern Grund und Boden. Auch in den Städten hat sich die Lage der Unter- und Mittelschichten infolge der Politik der wirtschaftlichen Öffnung verschlechtert. Immer weniger junge Leute sind heute in der Lage zu heiraten – in einer Gesellschaft, in der sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe tabu sind.

Ägyptens Bevölkerungskonzept für die neunziger Jahre sieht neben Gesundheitsvorsorge, umfassender Sexualaufklärung, der Einbeziehung von Frauen in die Wirtschaftsentwicklung und Vorhaben zur besseren Landnutzung in der Familienplanung nur noch einen Aspekt von Bevölkerungspolitik unter vielen. Dennoch erreichen die Gesundheitszentren auf dem Land nach Schätzungen des feministischen Forschungszentrums „Die Neue Frau“ nur eine Minderheit von Frauen. Immer noch gebären 50 Prozent aller Frauen ohne ärztlichen Beistand. Und immer wieder beklagen sich Frauen, daß sie von den Ärzten nur unzulänglich beraten werden. Das führt dazu, daß viele Frauen Verhütungsmittel nach auftretenden Komplikationen wieder absetzen. Besonders wird kritisiert, daß die ägyptische Regierung unlängst das umstrittene Verhütungsmittel Norplant zugelassen hat, das zur Zeit von der Universitätsklinik im oberägyptischen Assiut getestet wird. Zudem ist nach Ansicht der Feministinnen von „Die Neue Frau“ die rechtliche Gleichstellung der Frau die Voraussetzung für deren sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. Bislang gilt entsprechend islamischen Rechtsvorschriften noch immer der Mann als Familienoberhaupt, der der Frau die Arbeit außerhalb des Hauses, Reisen und eben auch den Gebrauch von Verhütungsmitteln untersagen kann.

Die ägyptischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nehmen die Vorbereitungen zur ICPD auch zum Anlaß, erneut die Forderung nach einem Verbot der sowohl unter Muslimen wie unter Christen praktizierten Klitorisbeschneidungen auf die Tagesordnung zu setzen. Mädchen im vormenstruellen Alter hätten Anspruch auf gesunde Ernährung, umfassende Gesundheitsvorsorge, Sexualkunde und Schutz vor genitaler Verstümmelung, formuliert die Psychologin Aida Seif Al Dawlah einen umfassenden Forderungskatalog. Frauen müßten das Recht auf freie Wahl des Ehemannes, der Anzahl ihrer Kinder und der Art der Verhütung haben. Sie hätten das Recht auf ein befriedigendes Sexualleben und auf Schutz vor Vergewaltigung in der Ehe und auf psychologische und Gesundheitsbetreuung während und nach der Menopause. Ivesa Lübben, Kairo