■ Vom 5. bis 13. September findet in Kairo die UN-Weltbevölkerungskonferenz statt. Die taz wird im Vorfeld in lockerer Folge u.a. über Familienplanung, Frauenrechte und Migration berichten.
: Sandwich am Runden Tisch

Vom 5. bis 13. September findet in Kairo die UN-Weltbevölkerungskonferenz statt. Die taz wird

im Vorfeld in lockerer Folge u.a. über Familienplanung, Frauenrechte und Migration berichten.

Sandwich am Runden Tisch

Auf dem Umweltgipfel in Rio wurde es zum ersten Mal erprobt, in Kairo soll es weiterentwickelt werden - das Politikmodell, des globalen Runden Tischs. 15.000 Menschen werden zur Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) im September erwartet: RegierungsvertreterInnen, DemographInnen und JournalistInnen sowie 7.000 Delegierte von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Dem Begriff haftet noch immer das Image einer gewissen kritischen Distanz zu jeweiligen Macht an. Doch in Bangladesh zum Beispiel werden die NGOs, die dort wie Pilze aus dem Boden schießen, längst spöttisch „Next-to-Government Organizations“ genannt. Gerade Bevölkerungspolitik wird schon lange wesentlich von NGOs gemacht. In Kairo wird das Spektrum der NGOs riesig sein: von kleinen Alternativvereinen mit kritischem oder subversivem Anspruch über einflußreiche Lobbyorganisationen, Kirchen und industriefinanzierte Privatstiftungen wie etwa die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung. Sie ist ebenso in der Delegation der Bundesrepublik vertreten wie die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, ein privater Verein, zu dessen Mitgliedern zahlreiche PolitikerInnen gehören.

Im Entwurf zum „Weltbevölkerungsaktionsplan“, der in Kairo verabschiedet werden soll, wird den NGOs eine Schlüsselrolle bei der praktischen Umwetzung der Bevölkerungspolitik zugeschrieben, da sie in Bereichen verankert seien, die „durch Regierungskanäle schwer zugänglich sind“.

Auf der letzten Vorbereitungskonferenz, die im April in New York stattfand, haben die verschiedensten Regierungen „überraschend viele fortschrittliche und feministisch angehauchte Stellungnahmen“ eingebracht, so Anna Sax. Sie vertrat in New York die entwicklungspolitische Organisation „Erklärung von Bern“, die sich seit langem auch mit Bevölkerungspolitik auseinandersetzt. Die Diskussion über Frauenrechte und die Aufnahme feministischer Forderungen in das Abschlußdokument hatte die meisten der anwesenden 200 Frauen zunächst euphorisch gestimmt. Dennoch bleibe „ein ungutes Gefühl“ zurück. Viele Frauen, die über Jahre mit guten Gründen grundsätzliche Kritik an bevölkerungspolitischen Programmen und deren frauenfeindlicher Umsetzung geäußert hatten, gerieten zunehmend ins „Sandwich“: Auf der einen Seite ein starkes und auch von Frauen geprägtes „Bevölkerungs-Establishment“, das sich zunehmend das Vokabular der Frauenbewegung zu eigen macht und im „empowerment of women“ ein Instrument sieht, um die Geburtenrate zu senken - Bevölkerungskontrolle im lila Mäntelchen. Die andere Seite des Sandwichs, so Anna Sax weiter, bildet ein „reaktionärer klerikaler Block“, in New York repräsentiert durch die Vertreter des Vatikans, die auch die Delegierten aus Kroatien, Nicaragua, Malta, Honduras und Guatemala, sowie einiger islamischer Staaten auf ihre Linie brachten. Gegen alle Formulierungen im Abschußdokument, die eine Entscheidungsfreiheit der Frauen in Sachen Abtreibung auch andeuteten, legte die Vatikanfraktion ein Veto ein. Der Streit darum wird voraussichtlich auch die Konferenz in Kairo dominieren.

Bis vor wenigen Monaten noch sollte „Migration“ das Hauptthema der Weltbevölkerungskonferenz sein, doch davon ist jetzt kaum mehr die Rede. Die MigrantInnen haben in Kairo keine Lobby, und über den „Aktionsplan“ entscheiden letztlich Regierungsdelegationen, denen die „eigenen“ nationalstaatlichen Interessen wichtiger sind als die Rechte der MigrantInnen.

Schon bei der ersten Weltbevölkerungskonferenz, die 1927 in Genf unter Schirmherrschaft des Völkerbundes stattfand, stand das Thema Migration auf der Tagesordnung. Die damaligen politischen Begleitumstände waren den jetzigen durchaus ähnlich: Die reicheren Länder der Erde schickten sich gerade an, massenhafte Flüchtlingsbewegungen (eine Folge des Ersten Weltkriegs und des russischen Bürgerkriegs) außerhalb der eigenen Grenzen abzublocken. Als dann 1935 die internationale Elite der Bevölkerungsspezialisten, Statistiker und Biologen im nationalsozialistisch regierten Berlin konferierte, wurde vor allem über „Rassenhygiene“ gesprochen. Als Gefahren für die Menschheit wurden nun nicht Flüchtlingsbewegungen und „Überbevölkerung“ angesehen, sondern die übermäßigen Vermehrung der „Minderwertigen“. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden, nunmehr unter der UN-Regie, noch zwei Expertenkonferenzen statt, 1954 in Rom und elf Jahre später in Belgrad. Seither sind die Weltbevölkerungskonferenzen zur politischen Schaubühne geworden sind, auf der neben WissenschaftlerInnen auch Leute aus Politik und Verwaltung auftreten. So wurde 1974 in Bukarest von zahlreichen Delegierten aus dem Süden die Forderung nach Bevölkerungskontrolle als imperialistische Herrschaftsstratgie der Industriestaaten abgelehnt und stattdessen die Devise vertreten: „Entwicklung ist die beste Pille“. Zehn Jahre später auf der Weltbevölkerungskonferenz in Mexiko vertraten nur noch wenige Delegierte diese Position. Derweil hatte aber auch die Regierung der USA einen Schwenk vollzogen: Sie verweigerte allen Institutionen die Finanzierung, die Abtreibung in ihre Geburtenkontrollprogramme aufgenommen hatten. Dennoch räumen selbst engagierte „population activists“ in den USA ein, daß die Regierung Reagan mehr Geld für Bevölkerungskontrolle ausgegeben habe, als jede andere US-Regierung - verteilt auf diejenigen Organisationen, deren Geburtenkontrollmethoden genehm waren.

In diesem Jahr nun hat sich das Spektrum der KonferenzteilnehmerInnen nochmals erweitert. Doch beteiligen sich nicht alle NGOs, die nach Kairo kommen, am Runden Tisch. Parallel zur ICPD wird am 7. September ICPD ein öffentliches Hearing stattfinden. Thema: „Verbrechen an Frauen in Zusammenhang mit Bevölkerungspolitik“. Initiatorinnen sind die alternative Entwicklungsorganisation „Ubinig“ aus Bangladesh sowie der „Asian Women's Human Rights Council“, unterstützt von Frauenorganisationen aus Lateinamerika, Indien, Ägypten, den USA sowie den „Women of Zagreb“. Bei dem Hearing sollen die Erfahrungen von Frauen mit Reproduktionstechnologien ebenso zur Sprache kommen wie die Verbindungen zwischen Bevölkerungspolitik und Rassismus, Eugenik, Fundamentalismus und Migration - ein Versuch, so heißt es in der Einladung, die Lebensrealität der Frauen und ihre realen Bedürfnisse ins Zentrum der Konferenz zu rücken. Susanne Heim