Die zwei im Exilarium

■ Uraufführung in Berlin: "Hotel Orpheu" von Gabriel Gbadamosi

„The war's over“, sagt Joe, der schwarze Angolaner in einem Lissaboner Hotelzimmer. Aber das stimmt nicht. Nicht nur, daß in Angola nach wie vor Bürgerkrieg herrscht, auch für ihn, der sich nach Portugal gerettet hat, ist der Krieg keineswegs vorbei. Denn Joao, der weiße Angolaner, steht vor ihm und hält eine Pistole in der Hand.

Joe und Joao haben sich im Frachtraum eines Fischdampfers unfreiwillig kennengelernt. Einer, der eine weiße Haut und eine portugiesische Mutter hat, und einer, der einen Diamanten besitzt. Gemeinsam haben sie es zumindest ins Hotel „Orpheu“ geschafft, eine miese Absteige mitten in Lissabon. Sie teilen sich ein Bett, Joao geht tagsüber arbeiten, Joe nachts. Joao will sich eine Existenz aufbauen, Joe ist heroinsüchtig.

Ein Überlebenskampf im Hotelzimmer

Gabriel Gbadamosis Stück „Hotel Orpheu“, das an der Schaubühne uraufgeführt wurde, ist eine Exilantengeschichte aus konsequenter Innensicht. Über den Bürgerkrieg in Angola erfährt man nichts. Darüber, daß dort seit der Unabhängigkeit 1975 gekämpft wird, informiert eine Stimme vom Band, vor Beginn der Vorstellung.

Aber es geht ja auch nicht um die etwa 1.000 Menschen, die in Angola — nach Zahlen von Ende 1993 — täglich sterben, sondern um zwei, die sich gerettet haben. Und zwar in eine neue „Heimat“, die auch nur in Form einer vorbeiratternden Straßenbahn im Stück vorkommt. Der Überlebenskampf findet im Hotelzimmer statt, von Mann zu Mann — ein Kammerspiel.

Ohne einander wären Joao und Joe nicht ins Land gekommen. Und miteinander halten sie es dort nicht aus. Am Ende dreht Joao durch, er vermutet weitere Diamanten bei Joe, bedroht ihn, fesselt ihn an die Heizung, bringt ihn dann doch nicht um und setzt sich selbst eine Überdosis.

Joao ist es zwischen dem ersten und dem zweiten Akt gelungen, einen portugiesischen Paß zu bekommen, Joe nicht. „Wo haben Sie Ihren Reisepaß, junger Mann?... Dokumente?! Sie existieren nämlich gar nicht, junger Mann“, sagt der weiße Angolaner zu dem schwarzen Angolaner. In Deutschland, wo sich die Innenminister, wenn überhaupt, nur mühsam einen Abschiebestopp für Angolaner abringen können, ist das weit mehr als eine psychologische Gemeinheit, ein Memento mori, trotz gelungener Flucht nach Europa.

Gbadamosi, der 33jährige Engländer irisch-nigerianischer Abstammung, hat ein wortkarges Stück in drei kurzen Akten verfaßt, den größten Teil des Textes nehmen Regieanweisungen ein. Joao spricht deutsch in der Übersetzung von Peter Stephan Jungk, Joe englisch. Michael König und Nicholas Monu spielen die beiden in der Regie von Matthias Gehrt.

Naturalismus als abgekartetes Spiel

Gisbert Jäkel und Ruth Faltin haben unter der Bühne weisungsgetreu einen Frachtraum voller Fische um einen Lichtschacht herumgebaut. Beim Szenenwechsel nach der Ankunft in Portugal fährt die Zuschauertribüne zur Seite, und ein abgerissenes Hotelzimmer wird von oben herabgelassen.

Das klappt alles wunderbar und könnte einen idealen Spielraum eröffnen, aber irgend etwas stimmt nicht. Liegt es daran, daß die Fische nicht stinken, der Frachtraum piccobello sauber ist, und es auch nicht naß wird, wenn Wasser hereinschwappt? Oder eher daran, daß darstellerisch von Anfang bis Ende bestenfalls behauptet wird, es ginge hier wirklich um etwas Existentielles?

Wenn Joe zu Joao sagt, er solle ihm nicht zu nahe kommen, weil er ihn sonst verletzen müsse, sieht man, daß beide Schauspieler wissen, daß Joe Joao als nächstes seine Zigarette anbieten wird. Und wenn Joe später das Zimmer durchwühlt, dann weiß Monu von Anfang an, daß er Geld sucht und wo er es finden wird. Dies alles soll und will naturalistisch sein und ist doch deutlich abgekartet und steril. Man hätte gleich eine dicke Glasscheibe zwischen Bühne und Publikum einziehen können: ein Exilarium.

Matthias Gehrt ist von Weimar zurück nach Berlin gekommen und inszenierte erstmalig an der Schaubühne. Er hat mißlicherweise offenbar gar keine Notwendigkeit gesehen, den abrupten Stückverlauf motivisch zu unterfüttern. Die Handlung vollzieht sich mühsam, und auf eventuelle Geschichten der beiden Figuren gibt es kaum einen schauspielerischen Hinweis.

Nur einmal, fast am Ende, als Joe und Joao gemeinsam ein angolanisches Lied anstimmen und dann die Straßenbahn wieder vorbeirattert und nur Joe, mit Handschellen an die kaputte Heizung gekettet, noch weitersingt und Joao auf dem Bett wahrscheinlich gerade beschließt zu sterben, da stellt sich — etwas kitschig zwar und sehr traurig — eine Atmosphäre ein, da ahnt man, warum einer von beiden gehen muß: weil Angola weit ist und Portugal noch viel weiter. Und weil der Schwarze einen angolanischen Diamanten hatte und der mit der portugiesischen Mutter eine weiße Haut. Petra Kohse

„Hotel Orpheu“ von Gabriel Gbadamosi; Regie: Matthias Gehrt; Bühne: Gisbert Jäkel/Ruth Faltin, mit Michael König und Nicholas Monu.

Weitere Aufführungen bis 8. Juli, jeweils 20 Uhr, in der Schaubühne am Lehniner Platz.