Großeinsatz der Schnüffler gegen Autonome

■ Polizei durchsuchte Wohnungen, Buchladen und den AStA / Rangeleien folgten

Göttingen (taz) – Beamte des niedersächsischen Landeskriminalamtes durchsuchten gestern in Göttingen 15 Privatwohnungen, das Gebäude des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) sowie einen Buchladen. Sie suchten nach „Beweismitteln“, mit denen sich der Vorwurf einer kriminellen bzw. die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung belegen lassen soll. Bei der mehrstündigen Aktion beschlagnahmte die Polizei kistenweise Broschüren, Flugblätter, Adressenlisten, Computerdisketten sowie persönliche Aufzeichnungen. Mindestens zwölf Personen wurden erkennungsdienstlich behandelt.

Veranlaßt wurden die Durchsuchungen von der Generalstaatsanwaltschaft in Celle, die seit 1991 im Auftrag der Bundesanwaltschaft gegen Göttinger Autonome ermittelt. Die Razzia, so die Generalstaatsanwaltschaft, richtete sich gegen Mitglieder der Autonomen Antifa (M). Die Durchsuchung sollte Aufschluß über die „Gruppenstruktur, die Ziele, zur Strategie und zur Taktik sowie zu der Einbindung ihrer Mitglieder“ erbringen. Die Autonomen Antifa (M) habe sich zum Ziel gesetzt, „das System gewaltsam zu kippen“. Demzufolge unterhalte die Gruppe „auf mehreren Ebenen enge Kontakte zu Mitgliedern der terroristischen Vereinigung ,Rote Armee Fraktion‘“. Die Autonomen Antifa (M) wird beschuldigt, für die RAF zu werben. Der „Antifaschismus“ im Namen der Organisation sei dabei „nur ein griffiges Mittel zum Zweck, um mit anderen Gruppierungen und Politikern bündnisfähig zu werden“.

Die Autonomen Antifa (M) – das „M“ steht für die wöchentlichen Treffen am Mittwoch – war im Herbst 1991 ins Fadenkreuz der politischen Fahnder geraten. Generalstaatsanwaltschaft und Landeskriminalamt bemühen sich seither um die Aufklärung von rund 50 Brand- und Sprengstoffanschlägen in der Universitätsstadt. Daß die Urheber vieler dieser Aktionen längst bekannt sind – so hatte bereits im Frühjahr 1992 ein psychisch Kranker mehrere Anschläge auf die Schnellbahntrasse der Bundesbahn und auf Gartenlauben gestanden –, focht die Fahnder aus Celle und Hannover dabei ebensowenig an wie offensichtliche Mißerfolge bei Hausdurchsuchungen in vergangenen Jahren.

Greifbare „Erfolge“ vermeldete das Landeskriminalamt bislang lediglich im Februar 1992, als mehrere Schüler Vorladungen als Beschuldigte „wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung“ erhielten. Die Betroffenen waren zum Zeitpunkt der Anschläge neun bis 13 Jahre alt gewesen.

Die Autonomen Antifa (M) hatte vor drei Jahren mit einem „Organisationspapier zur Autonomen Organisierung“ für Aufsehen in der linken Szene gesorgt. Darin werden verbindlichere Strukturen wie etwa geregelte Mitgliedschaft, Büros und Delegiertenversammlungen vorgeschlagen. Ein Dorn im Auge dürfte den Polit-Fahndern aber vor allem die Tatsache sein, daß die Autonomen Antifa (M) bei der Vorbereitung und Durchführung mehrerer antifaschistischer Demonstrationen tätig gewesen ist; ihre Bündnispartner dabei reichten ins grüne und gewerkschaftliche Lager hinein. Die gestrigen Ermittlungen nach §129a StGB und die Kriminalisierung, so mutmaßen Mitglieder der Gruppe, sollen die Bemühungen um Bündnisfähigkeit im bürgerlichen Lager ersticken.

Vor dem AStA kam es am späten gestrigen Vormittag zu Rangeleien zwischen Demonstranten und Einheiten eines Polizei-Sondereinsatzkommandos. Die Beamten setzten dabei auch Schlagstöcke ein. Am Nachmittag demonstrierten mehrere hundert Menschen in der Innenstadt gegen die Durchsuchungsaktion. Reimar Paul