Welcher Lebensabschnitt von Clara Zetkin zählt?

■ Historiker der Humboldt-Universität diskutierten über Straßennamen / Umstritten ist vor allem Clara Zetkin: Zählt Weimar oder Frauenbewegung?

Die Geschichtsstudenten der Humboldt-Universität verlangten am Dienstag abend von ihren Professoren Rechenschaft. Heinrich August Winkler und Laurenz Demps waren von Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) in die „Unabhängige Kommission zur Umbenennung von Straßen“ berufen worden, die in ihrem Abschlußbericht zu zwölffacher Namensänderung in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain riet. Im Senatssaal der Linden-Universität mußten sich der Historiker (West) und der Historiker (Ost) rechtfertigen, warum – so ein Student – „die spezifisch Winklersche Weimar-Sicht die Straßennamen zieren soll“.

Am höchsten brandeten die Emotionen bei der Clara-Zetkin- Straße, die, ginge es nach der Kommission, als Hauptstraße der Dorotheenstadt wieder nach der brandenburgischen Kurfürstin Dorothea heißen soll. Die engagierte Kämpferin für Frauenrechte, so Winkler, „war nicht die ganze Clara Zetkin“. Als entschiedene Gegnerin der Demokratie von Weimar habe sie zu deren Untergang beigetragen und den Katastrophenkurs der KPD nicht kritisiert: „Sie schwieg wider besseres Wissen.“

Die Frauenbeauftragte der Humboldt-Universität, Marianne Kriszio, sah darin „eine Frage der Gewichtung“. Für sie stehe die Clara Zetkin der Frauenbewegung im Vordergrund, sie habe sich daher gefragt: „Haben die nix anderes zu tun, als die Erinnerung an solche Frauen zu tilgen?“ Christine Fischer-Defoy vom „Aktiven Museum“ befand gar, um Zetkins Rolle in der Weimarer Republik „geht es gar nicht“. Straßennamen hätten keine ehrende Funktion, sondern dienten lediglich als „historische Verweise“. Die Vorschläge der Kommission oktroyierten „eine Angleichung an bundesrepublikanische Geschichtsvorstellungen“. Das sei eine „Verharmlosung des Nationalsozialismus“, die sie an die Äußerungen Steffen Heitmanns erinnere.

„Natürlich war das Unrecht des Nationalsozialismus singulär“, entgegnete Winkler, „aber man darf es nicht zu apologetischen Zwecken instrumentalisieren, um die andere Diktatur zu relativieren.“ Der Kommission sei es aber um die gesamtdeutsche, nicht um die bundesrepublikanische Demokratiegeschichte gegangen. Sie habe keine Namen von westdeutschen Politikern, sondern mit Otto Braun, Matthias Erzberger, Rudolf Hilferding und Theodor Wolff Vertreter „des sozialdemokratischen, katholischen und liberalen Flügels der Weimarer Demokratie“ vorgeschlagen und so der „verbreiteten Neigung, die erste deutsche Republik zu verdrängen“, entgegentreten wollen.

Dies sei zugleich eine Absage an die „Geschichtspolitik“ der SED, die die Rolle der KPD „schöngeredet“ habe. Die historische Mitte der Hauptstadt sei aber „kein gewöhnlicher Kiez, hier muß sich die Bundesrepublik insgesamt wiedererkennen“. Damit widersprach Winkler Jürgen Karwelat von der Geschichtswerkstatt, der auf der alleinigen Kompetenz der Bezirke bei der Benennung bestand.

Verschwinden sollen aber, so Winklers feine Unterscheidung, nur Politiker, nicht Widerstandskämpfer: „Pieck und Ulbricht gehören in eine andere Kategorie als Almstadt.“ Das gelte für den kommunistischen Widerstand ebenso wie für „einige sehr rechte Persönlichkeiten des 20. Juli“. Immerhin hatte sich die Kommission, mit Zustimmung der CDU-Mitglieder, auch für den Verbleib von Karl Marx, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ausgesprochen: „Ist das selbstverständlich, daß Konservative dem zustimmen?“ Ralph Bollmann