■ Ruanda: Die Schonzeit der Legionäre Frankreichs ist vorbei
: Sans gêne, ohne Scham

Es war am 28. Juni, als der französische Premierminister Edouard Balladur im Zweiten Französischen Fernsehen zu Ruanda sagte: „Frankreich versteht sich als Weltmacht (puissance mondiale), das ist sein Ehrgeiz, und das ist seine Ehre, und ich wünsche, daß es diesen Anspruch aufrechterhält. Und das erste Feld, wo es diesen Anspruch mit einer Intervention geltend machen kann, ist Afrika; wo durch eine jahrhundertelange Tradition Frankreich eine ganz wesentliche Rolle zu spielen hat, vor allem im frankophonen Afrika.“ Frankreich hatte im letztmöglichen Moment die Intervention in Ruanda gestartet – und dabei die Müdigkeit der Atlantiker und die Armut der Afrikaner für sich ausgenutzt. Es sollte nämlich schon vor vier Wochen eine Afrikaner-Blauhelm-Truppe aufgestellt werden; der UN-Sicherheitsrat und die Afrika-Staaten hatten um logistische und technische Transport-Unterstützung gebeten. Aber die amerikanischen Flugzeuge für die Blauhelme aus Senegal, Ghana, Tansania starteten erst am 23. Juni von Deutschland aus, um 50 APC, gepanzerte Mannschaftswagen, nach Entebbe/Uganda zu bringen. Damit demonstrierten die USA ihr Mißtrauen gegenüber einer afrikanischen Friedenstruppe, obwohl es erfolgreiche Aktionen gab: 1. als Tansanias Armee dem Spuk des Massenmörders Idi Amin Dada 1979 ein Ende machte, 2. als eine reine westafrikanische Friedenstruppe (Ecomog) in Monrovia die Situation zumindest stabilisierte.

Frankreich ist wieder einmal ungestraft aus der Europa-Koordination ausgeschert – sans gêne, ohne Scham. Im Juni gab es eine WEU-Verteidigungsministerkonferenz, auf der beschlossen wurde, vorerst in Ruanda nichts zu tun. Drei Tage später kündigt Mitterrand – der französische Sonnenkönig – die eigene nationale Großmachts-Intervention an – innerhalb von 48 Stunden. Es muß nur national sein, dann ist es effektiv.

Den Überblick zu behalten in Ruanda ist schwer. Wir hören in den TV-Nachrichten von „Rebellen“ – und „den Aufständischen“. Das klingt für deutsche Ohren von vornherein negativ, wie ein Bonus für die andere Seite. Die Seite der sogenannten Regierung war dabei zu verschwinden, Frankreich hat sie, die sogenannte Regierung, die verantwortlich für die Massenmordorgien ist, wieder aufgepäppelt. Alles das, was man argwöhnte vor drei Wochen, findet statt. Frankreich will der anglophonen (weil aus Uganda heraus operierenden) RPF nicht das frankophone Land Ruanda überlassen. Schließlich ist das die prästabilisierte Landkarte, in der zumindest 14 französischsprachige Länder zu der Einflußsphäre seit Jahrhunderten gehören.

Paris setzt sich jetzt auch über den UNO-Auftrag hinweg. Frankreich sollte dort zwei Monate anwesend sein, dabei Flüchtlinge retten, Nonnen herausfliegen, Waisenkinder füttern. Jetzt aber will man den Vormarsch der RPF stoppen. Frankreich könnte sich in ganz kurzer Zeit in einer äußerst unangenehmen algerisch-vietnamesischen Lage befinden: Dien Bien Phu wird sich auf Gikongoro reimen. Mit den Rebellen der Patriotischen Front ist nicht gut Kirschen essen. Sie sind außerordentlich diszipliniert, von hoher Moral, wenn es sein muß, auch Kampfmoral. Bislang hatten sowohl der Präsident der Bewegung, der Hutu-Politiker Kanyarwenge, und der militärische Oberbefehlshaber Paul Kagame außerordentlich zurückhaltend auf das französische Eingreifen reagiert. Sie versprachen, das französische Vorgehen noch einmal anders zu beurteilen, wenn Frankreich sich auf die humanitäre Hilfe beschränke. Diese Schonzeit ist für die französischen Legionäre vorbei! Letzten Meldungen zufolge stehen 2.000 RPF-Kämpfer nur zehn Kilometer vor den 150 französischen Soldaten. Es wäre gut, wenn sich Frankreich und Mitterrand nicht auf dieses Abenteuer einlassen würden. Es schadet Europa in seinem Verhältnis zu Schwarzafrika. Rupert Neudeck

Publizist, lebt in Köln