Die Roten Khmer setzen auf Zeit

In Kambodscha gehen die Kämpfe zwischen gutgerüsteten Roten Khmer und desolaten Regierungstruppen weiter / Parlament beschließt Verbot der Guerillaorganisation  ■ Aus Sdao Bertil Lintner

„Sie sind da hinten“, flüstert ein Soldat und zeigt auf einen blauschimmernden Berg in der Ferne. Er gibt sich alle Mühe, seine Nervosität hinter einem verlegenen Lächeln zu verbergen. Wir sind in Sdao, dem letzten Vorposten der kambodschanischen Regierungstruppen vor den Hügeln und Regenwäldern, die von den Roten Khmer gehalten werden. Sechs Soldaten in abgerissenen Uniformen sitzen auf einer Bambusbank neben einem rostigen Panzer. Am Rand der wohl verminten Straße liegt ihr Maschinengewehr.

Das letzte Mal sind „sie“ – die gefürchteten Roten Khmer – im April von den Hügeln und aus den Wäldern gekommen. Damals flüchteten sich die Regierungssoldaten Hals über Kopf zurück zu ihren Kasernen in der Provinzhauptstadt Battambang. „Sie waren mehr als wir, und wir hatten nicht genug Munition“, sagt einer der Soldaten, die seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten haben.

Disziplinierter und besser bezahlt

Plötzlich unterbricht eine Explosion unser Gespräch. Ein paar hundert Meter weiter ist ein patrouillierender Soldat auf eine Landmine getreten. Er wird zu einem in der Nähe geparkten Transporter getragen. Sein blutverschmierter Fuß ist in eine Plastiktüte eingewickelt. Er schreit vor Schmerz und Entsetzen.

Kaum 10.000 Kämpfer haben die Roten Khmer, sagen die meisten Schätzungen. Zahlenmäßig können sie sich mit der über 120.000 Mann starken Regierungsarmee nicht messen. Doch sie kontrollieren das schwierige Terrain entlang der thailändischen Grenze im Norden und Westen des Landes – Gebiete, die die Truppen der Regierung bislang nicht durchdringen konnten. Die Roten Khmer sind auch weitaus besser geführt, diszipliniert, und „ihre Kämpfer verdienen etwa zehnmal soviel wie die Regierungssoldaten,“ sagt ein westlicher Militärbeobachter.

Die Roten Khmer erzielen ihr Einkommen durch den Verkauf von Edelholz und Edelsteinen an private thailändische Geschäftsleute jenseits der Grenze. Dafür haben sie Zugang zum thailändischen Markt. „Zwar ist es nicht offizielle thailändische Regierungspolitik, die Roten Khmer zu unterstützen. Aber in den vergangenen Jahren haben sich persönliche Bindungen zwischen ihren Führern und Thailändern entwickelt, sowohl zwischen Militärs als auch Geschäftsleuten. Die kann man nicht ignorieren“, sagt ein Diplomat in Phnom Penh.

Vor allem aber ist die gegenwärtige Situation in Nordwestkambodscha eine Hinterlassenschaft aus den achtziger Jahren: Damals haben nicht nur Thailand und die südostasiatische Staatengemeinschaft Asean, sondern auch China, die USA und der Westen die antivietnamesische Bürgerkriegskoalition unterstützt. Die beiden nichtkommunistischen Fraktionen – Anhänger des damaligen Prinzen Sihanouk und eine rechte Gruppierung unter der Führung des Ex- Premierministers Son Sann – waren nützlich, weil sie der Koalition internationale Akzeptanz verliehen. Gekämpft haben jedoch vor allem die Soldaten der dritten Fraktion, die Roten Khmer. Und deshalb erhielten sie den Löwenanteil der militärischen Ausrüstung aus dem Ausland.

Heute jedoch sind die Roten Khmer zur Gefahr für jene geworden, die sie hochgepäppelt haben: „Was sollen wir mit all den Roten Khmer machen?“ sagt Colonel Viwat Visanuvimol vom Nationalen Sicherheitsrat Thailands. „Wenn wir sie verärgern, könnten sie uns angreifen.“ Bemerkenswert ist, Die Führer der Bewegung sind geblieben

daß ihre Führung seit der Zeit, als sie Kambodscha beherrschten – vor der Invasion der vietnamesischen Armee Ende 1978 –, weitgehend intakt geblieben ist. Pol Pot tritt öffentlich nicht mehr auf, aber kaum jemand bezweifelt, daß er immer noch der starke Mann der Bewegung ist. Die Armee wird von Son Sen geführt, der auch in den 70er Jahren Militärchef und im vorrevolutionären Kambodscha Direktor des Pädagogischen Instituts in Phnom Penh war.

Khieu Samphan, offizieller Chef der Roten Khmer, hat an der Pariser Sorbonne seinen Doktor gemacht und war der wichtigste Theoretiker der Bewegung seit den 60er Jahren – und ist es immer noch. Der einbeinige Kommandant Ta Mok, bekannt als „der Schlächter von Kambodscha“, führt weiterhin die Einheiten der Roten Khmer im Norden des Tonle-Sap-Sees. Je mehr die Regierung bröckelt, desto stärker könnte die Position dieser Männer werden. „Keine der an den kürzlich gescheiterten Friedensgesprächen zwischen den Roten Khmer und der Regierung beteiligten Seiten wollte tatsächlich Frieden, alle wollten nur Zeit gewinnen“, sagt ein Beobachter. „Die Regierung wartet verzweifelt auf Unterstützung von außen, um die Roten Khmer zu bekämpfen, und die Guerilla wartet darauf, daß die Situation sich noch weiter verschlechtert, was langfristig in ihrem Interesse sein kann.“ – Die Haltung gegenüber den Roten Khmer spaltet auch die Regierungskoalition. Nachdem der kambodschanische König Sihanouk in der Vergangenheit die Roten Khmer immer wieder dazu einlud, sich in irgendeiner Weise an der Macht zu beteiligen, stritt sich das Parlament in dieser Woche heftig über einen Gesetzentwurf, der ein Verbot der Roten Khmer vorsieht. Dafür sind besonders die Anhänger der ehemaligen Regierungspartei unter Koministerpräsident Hun Sen. Die Mehrheit stimmte schließlich gestern für das Verbot – gegen den Willen des Königs und seines Sohnes, des Ersten Regierungschefs Ranariddh, die erklärten, daß damit endgültig die Tür zu einer friedlichen Lösung des Krieges zugeschlagen sei.

Hun Sen sagte kürzlich, die Roten Khmer planten, die Zahl ihrer Soldaten binnen zwei Jahren auf 25.000 zu verstärken, um dann 1996 eine Großoffensive durchzuführen. „Wir wissen, daß die Roten Khmer verstärkt rekrutieren“, sagt der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in der nordwestlichen Provinzstadt Battambang. „Sie bieten gute Bezahlung, und angesichts der verzweifelten Lage hier überrascht es kaum, daß viele Dorfjugendliche sich ihnen anschließen.“

Wenige Beobachter glauben, daß die Außenwelt eine Rückkehr der Roten Khmer an die Macht zulassen würde. Selbst wenn diese nicht noch einmal in Phnom Penh einmarschieren sollten – wie im April 1975 –, stehen den KambodschanerInnen doch noch viele Jahre bitterer Kämpfe bevor.