Angeklagte: Nix gehört, nix gesehen, nix gemacht

■ Erster Prozeß nach der Menschenjagd am Herrentag in Magdeburg / Urteil für kommenden Mittwoch erwartet / Nur „rein zufällig“ anwesend gewesen

Magdeburg (taz) – Eigentlich, so sagen alle drei Angeklagten, sind sie bei der ausländerfeindlichen Menschenjagd und den Ausschreitungen vor der Marietta-Bar am Himmelfahrtstag nur als unbeteiligte Beobachter ganz zufällig in der Nähe gewesen. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Sie hat den neunzehnjährigen Stefan W., die zwanzigjährigen Marko D. und Steve A. wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall vor den Kadi gezerrt. Seit gestern läuft der erste Prozeß nach den Magdeburger Krawallen. Nach vier Verhandlungstagen will die Schöffenkammer des Amtsgerichts am kommenden Mittwoch ihr Urteil verkünden.

Zahlreiche Zeugenaussagen sollen die Beteiligung der drei Angeklagten an den Krawallen belegen. Denn die drei, die in ihren polizeilichen Vernehmungen noch ihre maßgebliche Beteiligung an den Ausschreitungen eingeräumt haben, leugnen jetzt hartnäckig. Nur als Beobachter wollen sie das Ganze aus respektvoller Entfernung angeschaut haben. Lediglich der neunzehnjährige Marko D. gibt zu, auf der Terrasse der Marietta-Bar einen Stuhl gegen einen Ausländer geschleudert zu haben. Das sei aber Notwehr gewesen. Als der Ausländer mit einem Döner-Messer auf ihn zugekommen sei, habe er sich Freiraum verschaffen wollen.

Immerhin gibt Marko D. zu, „daß der Stuhl auch ganz zufällig in die Scheibe der MariettaBar geflogen sein könnte“. Ungläubiges Staunen bei Amtsrichterin Evelyn Majrtrak: „Wenn Sie, wie Sie sagen, den seitlichen Terrassenaufgang benutzt haben und der Ausländer direkt auf Sie zukam, dann war das doch eine ganz andere Wurfrichtung, dann standen Sie doch seitlich zur Scheibe.“

Auch der Aussage von Steve A., der jetzt alles nur noch aus größerer Entfernung beobachtet und eigentlich gar nichts gesehen haben will, traut die Richterin nicht so recht über den Weg. Denn gerade Steve A. hat bei der polizeilichen Vernehmung sich selbst, seine beiden Mitangeklagten und auch andere mutmaßlich Beteiligte schwer belastet. Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gemacht — das ist jetzt die Verteidigungslinie des neunzehnjährigen, der nach Ansicht von Prozeßbeobachtern eine Heidenangst vor seinen Kumpels hat.

Aber alle drei beharren darauf, eher zufällig an der Marietta-Bar aufgetaucht zu sein. Für den neunzehnjährigen Peter W. war das dann aber ein echtes Déjà-vu-Erlebnis. Auch am Himmelfahrtstag 1993 war er, wie er auf hartnäckiges Nachfragen der Staatsanwälte zugibt, „rein zufällig“ vor der Marietta-Bar. Auch damals kam es dort schon zu ausländerfeindlichen Ausschreitungen. Eberhard Löblich