Massive Vorwürfe gegen China

■ Amnesty: Zunehmende rassistische Übergriffe durch Polizisten in Deutschland / In China mindestens 2.500 Todesurteile im vergangenen Jahr und verbreitete Folter

London/Bonn (epd/AFP/taz) Ein Dokument wider das Wegsehen: In ihrem Jahresbericht 1994 weist die Menschenrechtsorganisation amnesty international darauf hin, daß es in Deutschland immer häufiger zu Mißhandlungen durch Polizisten kommt. Beamte haben selbst zugeschlagen – oder griffen nicht ein, wenn andere es taten. Zu den Opfern zählten vornehmlich ausländische Staatsbürger, heißt es in dem über sechshundert Seiten umfassenden Buch, das heute in London und Bonn vorgestellt wird. Am Beispiel mehrerer Vorfälle zeigt ai, daß die deutschen Behörden auch dann nur sehr schleppend – oder gar nicht – gegen Polizisten ermitteln wollen, wenn es Augenzeugen gab, die rassistische Übergriffe angezeigt haben.

Amnesty moniert auch die Anwendung der Isolationshaft gegenüber Birgit Hogefeld, die als Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) im Juni vergangenen Jahres in Bad Kleinen festgenommen wurde und der jeder Kontakt zu Mithäftlingen oder die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen verwehrt wird. Nachdem die Änderung des Asylrechts im vergangenen Jahr mit der Grundgesetzänderung beschlossen wurde, müssen viele Asylbewerber durch ein verkürztes Asylverfahren gehen, das „zumindest teilweise die für die Identifizierung und den Schutz gefährdeter Personen unerläßlichen Garantien vermissen läßt“.

Insgesamt war die „Menschenrechtssituation 1993 – dem Jahr der UN-Weltmenschenrechtskonferenz – unverändert erschreckend“, bilanziert ai: In 53 Ländern saßen mehr als 100.000 politische Gefangene ohne Anklage und Gerichtsverfahren in Haft. In 112 Staaten wird gefoltert. In 61 Ländern beteiligten sich Sicherheitskräfte an politischen Morden. Der Todesstrafe fielen nach Erkenntnissen von amnesty rund 2.000 Menschen in 32 Staaten zum Opfer. Davon mindestens 1.400 allein in China, wo über 2.500 Todesurteile verhängt wurden. Die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen.

Tausende von politischen Gefangenen sitzen in Haft, die meisten ohne jemals vor Gericht gestanden zu haben. Auch die harten Haftbedingungen in der Volksrepublik beklagt ai. Zahlreiche Gefangene zögen sich hinter Gittern ernsthafte psychische und physische Erkrankungen zu. Eine medizinische Betreuung sei nicht gewährleistet. Zu den weitestverbreiteten Foltermethoden zählen in der Volksrepublik laut ai Elektroschocks, Schläge bis zur Bewußtlosigkeit, Fesselung von Fuß- und Handgelenken sowie Essens- und Schlafentzug. Auch würden Häftlinge oft extremer Hitze oder Kälte ausgesetzt, um Geständnisse zu erpressen oder um Zelleninsassen zu schikanieren. Von den Behörden werde die Anwendung der Folter trotz klarer Beweislage hartnäckig geleugnet.

Zahlreiche politische Gefangene sitzen den Angaben zufolge lediglich aufgrund einer Verwaltungsanordnung in Haft. Die wenigen Prozesse, die es gebe, seien weit von internationalen Rechtsstandards entfernt. Die Urteile stünden bereits im Vorfeld fest, von einer echten Verteidigung könne nicht gesprochen werden. Im vergangenen Jahr sind laut ai Hunderte gewaltloser politischer Aktivisten, des weiteren Hunderte religiös engagierter Menschen – Protestanten, Katholiken, Buddhisten und Moslems – sowie zahlreiche Angehörige ethnischer Minderheiten inhaftiert worden. Tausende, die größtenteils bereits vor Jahren wegen angeblicher „konterrevolutionärer“ Aktivitäten hinter Gitter gerieten, säßen nach wie vor im Gefängnis. Besonders besorgniserregend sei die Situation in Tibet, wo der Besuch einer Delegation der EU Massendemonstrationen in der Bevölkerung und später eine Verhaftungswelle nach sich gezogen habe. In den vergangenen Tagen hatte die Organisation aus Anlaß des Besuchs von Chinas Ministerpräsident Li Peng mit Mahnwachen auf die Verletzung der Menschenrechte in China aufmerksam gemacht. Li bleibt noch bis Samstag in Deutschland.