Wortgirlanden und Peinlichkeiten

■ Res Bosshart präsentierte seine Konzeption und sein neues Mitarbeiter-Team für Kampnagel

Neue Gesichter, neue Begriffe, aber ein neues Programm? Die Vorstellung seines Teams und seines Spielplankonzeptes durch den neuen Kampnagel-Leiter Res Bosshart ließ mehr Fragen offen als geklärt. Statt der bisherigen Sparten-Festivals wird es in Zukunft ein Programm der Begriffe geben. „Liebe“, „Arbeit“, „Hölle“ und „Erinnerung“ sollen als Leitmotive für jeweils einen Spielzeitabschnitt die Neugierde eines „durchmischten Publikums“ wecken.

Der Vorteil dieser diffusen Rahmengestaltung gegenüber dem bisherigen Konzept solle darin liegen, so Bosshart, daß eine starre „Spartenliebhaberei“ aufgebrochen werden könne, damit mehr „Kommunikation“ (neben „Präsentation“ und „Produktion“ die konzeptionellen Hohlformeln der zukünftigen Arbeit) entsteht. Welche Gruppen und Projekte genau unter diesen thematischen Allerweltsbegriffen gebündelt werden sollen, konnte Bosshart erst in Ansätzen darlegen. Needcompany (Liebe), Susanne Linke (Arbeit) und das Theaterzentrum Akko (Erinnerung) stehen fest, dazu einige Projekte von Hamburger Gruppen und Produzenten (Eva-Maria Martin mit einem Stück zu „Liebe“ und Babylon mit einer Werner-Schwab-Inszenierung zu „Hölle“). Das Stichwort „Erinnerung“, als einziges mit konkretem Inhalt benannt, beschäftigt sich 1995 mit dem fünfzig Jahre zurückliegenden Ende des Weltkrieges und des Holocaust.

Dieses Konzept unterscheidet sich von der Programmführung der 80er Jahre nur durch Wortgirlanden. Denn daß ein Publikum von obigen Begriffen (vielleicht mit Ausnahme von „Erinnern“) so innerlich aufgerüttelt wird, daß es sich deswegen Produktionen ansieht, die es sonst gemieden hätte, erscheint nahezu grotesk. Und zieht man die nutzlosen Kapitelüberschriften ab, so erhält man wieder den Gemischtwarenladen frühere Jahre, der von Hans Man in't Veld nur deswegen durch Festivalreihen ersetzt wurde, weil sich mit dem alten Konzept eben nicht mehr Publikum auf das Gelände holen läßt. Genau dies wird Bosshart und sein Team aus Kampnagelgestalten und Fremdlingen aber leisten müssen.

Bossharts zweiter Plan für eine Verwandlung Kampnagels in einen „Ausdruck von urbaner Kommunikation“ ist Gastronomie. Den dazu notwendigen Umbau des Foyers 2, wo ein neues kulinarisches Erlebniszentrum entstehen soll, müssen aber Sponsoren finanzieren. Man ist gespannt.

Auch bei den Freien Gruppen scheint sich wider aller Befürchtungen nichts wesentliches zu ändern. Zwar wählt sich Bosshart vier Produzenten oder Produzentinnen aus, mit denen er kontinuierlich zusammenarbeiten will (bisher COAX und Eva-Maria Martin), aber auch für alle anderen Hamburger Gruppen wird sich wohl ein Plätzchen im Spielplan finden, wenn sie ihre Projekte genügend thematisch umbiegen.

Als Dank für die Liquidierung des Jugendtheater auf Kampnagel erwartete Bosshart auf der Pressekonferenz lautstark deren Etat von 1,5 Millionen Mark, um Jugend- und Kindertheater mit Hamburger Freien Gruppen und Gastspielen durchzuführen. Da es längst öffentlich bekannt ist, daß von diesem Etat nur 500.000 Mark übrig bleiben werden, wirkte dieser Auftritt etwas peinlich.

Nun bleibt es abzuwarten, ob sich aus der vielen heißen Luft, die auf dieser Pressekonferenz abgelassen wurde, tatsächlich ein Theater mit internationalem Format oder nur ein Luftschloss bildet. Zumindest muß das neue Team noch viel an Präsenz und Schärfe gewinnen, um das kränkelnde Raumschiff Kampnagel sicher durch die dunklen Jahre zu bekommen.

Till Briegleb