Für die Krankenpflege entschieden

■ „Wir haben den Krieg an sich nicht entschieden genug bekämpft“

(...) Begeben wir uns zunächst für eine Weile gemeinsam nach Zagreb zu einer international besetzten Frauenkonferenz, die im Oktober 1992 stattfand und das Thema „Frauen und Krieg“ behandelte. (...) Die Konferenz war so konzipiert, daß im Mittelpunkt die Berichte der Opfer standen: Eine Frau aus Bosnien-Herzegowina beginnt mit dem Bericht. Sie hat einige serbische Lager erlebt. Sie erzählt, wie sie tagelang von Mitternacht bis morgens einem Soldaten sexuell zur Verfügung stehen mußte. (...)

Ich hasse die Organisatorinnen wegen dieses sich vor unseren Augen wiederholenden Dramas. Es nimmt kein Ende. Ich möchte sie unterbrechen; ich habe das Gefühl, das tun zu müssen, um eine Katastrophe zu verhindern. Es kann doch nicht sein, daß sie uns nach so kurzer Zeit in aller Öffentlichkeit ihr Leid auf diese Art offenbaren kann! (...) Und was sucht in diesem verdammten Raum die verdammte kroatische Staatsflagge? Und das Staatswappen nebenan! Ich müßte die Flagge samt Wappen hinaustragen. Sie kann ihre Geschichte nicht unter einer Staatsfahne erzählen, nicht unter einem Männlichkeits- und Gewaltsymbol par excellence! Ich habe die Fahne nicht hinausgetragen. Ich habe die Frau nicht unterbrochen. Ich habe brav dagesessen.(...)

Das große Wort „Vergewaltigung“ muß und mußte für allerlei herhalten. Über die Peinlichkeiten, die im Zusammenhang damit geschehen sind, werden wir noch lange stolpern. Manche unserer Zeitgenossinnen könnten sich bereits jetzt für ihre Taten und Worte schämen. Ob Frauenprojekte, einzelne Frauen, Journalistinnen, Abgeordnete und Ministerinnen, für alle stellte nicht der Krieg per se, sondern nur ein Fragment davon, nämlich die Vergewaltigungen – die wiederum nicht als „bloße“ Vergewaltigungen, sondern als „Massenvergewaltigungen“ identifiziert werden mußten – den entscheidenden, den eigentlichen Grund ihrer Einmischung in das Kriegsgeschäft dar. Und sie alle waren sich einig, daß diese vom Gesamtkontext Krieg isolierte Handlungsweise allein schon als Akt der Frauensolidarität wie auch als Antikriegs-Aktivität ausreichend sei. (...)

Da die deutschen Frauen sich der Sache des Helfenmüssens sehr sicher und von der Richtigkeit des eigenen Handelns sehr überzeugt waren, haben sie es zum Teil nicht einmal für notwendig gehalten, mit den Schwestern vor Ort zu kommunizieren, geschweige denn, sie in alles miteinzubeziehen. Sie galten als nicht geeignet als Mitkämpferinnen für die Sache, da angeblich zerstritten, heterogen, chaotisch, nationalistisch, nicht politisch und nicht Frau genug. (...)

Obwohl keine Feministin die Hilfe, die Frauen aus Ex-Jugoslawien erhalten haben, für schädlich oder gar für überflüssig halten wird, müssen zwei Sachen zwangsläufig festgestellt werden: einerseits das bereits erwähnte fehlende radikale politische Engagement und andererseits die auch im karitativen Bereich absolut halbherzige Herangehensweise, weil nämlich auch dort im größeren Rahmen äußerst wenig geschehen ist. Hier denke ich unter anderem an den sehr spärlichen Protest im Zusammenhang mit der Einführung der Visapflicht für BosnierInnen und an die Nichteinhaltung der versprochenen Aufnahme von Kontingentflüchtlingen. (...)

Es hat vor unserer Zeit Kriege gegeben, es haben sich Frauen dazu verhalten müssen. Bereits Anfang des Jahrhunderts mußte eine Frauenbewegung angesichts des drohenden Krieges Stellung beziehen: 1915 nahmen immerhin 1.200 Delegierte aus Europa, den USA und Kanada am Internationalen Frauenkongreß in Den Haag teil, der dazu beitragen sollte, den Krieg zu verhindern. Die Pazifistinnen begnügten sich nicht mit moralischen Appellen, sondern diskutierten die wirtschaftlichen Ursachen und machtpolitischen Ziele des Krieges. Ihre Absage an den Krieg war radikaler als die vieler heutiger Feministinnen. Die von ihnen formulierte Erklärung spricht deutliche Worte: „Zwei Dinge wurden uns klar. Erstens: Hilfe konnte nur von Frauen kommen. Zweitens: wir würden keine Arbeit für direkte Kriegszwecke leisten, wie Hospitaldienst, Verwundetenpflege. Halbtotgeschundene Menschen wieder lebendig und gesund machen, um sie abermals den gleichen oder noch schlimmeren Qualen auszusetzen? Nein, für solchen Wahnsinn würden wir uns nicht hergeben.“

Und wo stehen wir heute, 75 Jahre später, nachdem es uns gelungen ist – wenigstens dem Prinzip nach – fast überall präsent zu sein, nachdem wir – zumindest theoretisch – den Weg von der Frau als Opfer zur Mittäterin und Täterin gegangen sind, nachdem wir uns von der Rolle des Objekts zu der des verantwortlichen und mitverantwortlichen Subjekts bewegt haben? Wir führen zwar (noch!) keine Kriege, wir gestalten ihren Gang nicht, wir bestimmen nicht die Zeitpunkte, wann sie anfangen oder enden werden. Aber wir verhindern auch keine Kriege! Wir wirken überhaupt nicht mit. Die Kriege finden scheinbar ohne uns statt. Wir haben uns wieder mal für die Krankenpflege entschieden. (...) Und das, obwohl wir Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen, Gewerkschaftsführerinnen geworden sind. Wir sind viele Frauen auf vielen und sogenannten wichtigen Positionen in der Gesellschaft. Und trotzdem: Wir sind eigentlich nirgends. Mira Renka

Die Langfassung dieses stark gekürzten Aufsatzes ist im Sammelband „Frauen zwischen Grenzen“ im Campus-Verlag erschienen.