Die 5. Republik beginnt

■ Kammerspiele: Gerd Schlesselmann löst Barbarino ab

Es kam, wie es kommen mußte. Auf der gestrigen Pressekonferenz in den Kammerspielen wurde bestätigt, was die taz bereits am Montag berichtet hatte: Gerd Schlesselmann wird neuer künstlerischer Leiter und damit Nachfolger von Stephan Barbarino. Dieser scheidet per sofort aus dem Theater aus und wird eventuell in Zukunft noch einmal eine Inszenierung machen. Im vorläufigen Spielplan Schlesselmanns für die Spielzeit 94/95 taucht er allerdings nicht auf.

Barbarino, der in den zweieinhalb Jahren seiner Intendanz die Organisation und die Finanzen des Hauses nicht in den Griff bekam, hatte das Theater nach monatelangen finanziellen Wehen zuletzt mit zwei Flops in den Konkurs geführt. Dessen Vollstreckung kann bisher nur dadurch vermieden werden, daß Ex-HSV-Präsident Jürgen Hunke und sein Mitgesellschafter Dirk Schmidt-Prange die Zusicherung gegeben haben, die Gesellschaft zu übernehmen, wenn bestimmte Vorbedingungen geklärt sind (taz berichtete). Sollten die Subventionen für die Kammerspiele (1,5 Mio. Mark) Bestand haben, was sich nächste Woche in der Senatsklausur zum Haushalt 95 entscheidet, dann gilt es als sicher, daß Hunkes und Schmidt-Pranges Besitz-GmbH die Kammerspiele übernimmt.

In einer Übergangsspielzeit sollen bis zum September 95 die Weichen für einen Neubeginn gestellt werden. Hunke will bis dahin den Umbau der Kammerspiele in einen Erlebnisort mit Theater, Kabarett und kommunikativem Foyer mit dem Namen Jerusalem fertiggestellt haben. Und Schlesselmann wird eine Spielzeit als künstlerischer Leiter betreuen, die wieder eindeutig ein kammerspielhaftes Profil haben wird und die stark von ehemaligen Schauspielhaus-Kollegen und -Kolleginnen sowie Künstlern aus dem Peter-Brook-Umfeld geprägt sein wird. Unter anderem wird der ehemalige Brook-Assistent Krysztof Warlikowski Ludwig nach Klaus Mann und der Brook-Schauspieler Bruce Myers Der Golem inszenieren. Charlotte Kleist und Monika Steil machen Produktionen und eröffnet wird am 3. September 94 mit einem Gastspiel des Kölner Schauspiels: Der Kindermörder in der Regie von Uwe Hergenröder. Sollte diese erste Spielzeit erfolgreich sein, wird Schlesselmann förmlich Intendant der Kammerspiele.

Es wird kein Ensemble mehr sondern nur noch Stückverträge geben, aber die Hausmitarbeiter sollen möglichst übernommen werden. Die sieben anvisierten Produktionen müssen sich selbst tragen, die Besitz GmbH wird aber die ersten Produktionen finanzieren. Inklusive Schallschutz- und Baumaßnahmen sowie Verlustausgleich rechnet Hunke mit einem Finanzloch von 1,7 Millionen Mark am Ende der Spielzeit, welches die Gesellschafter begleichen werden.

Auch wenn die Zukunft der Kammerspiele noch mit einem hohen Risiko belastet ist (was Hunke und Schlesselmann auch deutlich formulieren), steht Kultursenatorin Christina Weiss hinter diesem Konzept. Und da sowohl das Umbau- wie das Spielplankonzept schlüssig wirken, scheint der Neubeginn tatsächlich möglich. Nun müssen Taten folgen.

Till Briegleb