Befremden über das moderne Ritual Urlaub

■ „Das Erlebnis der Heimat ist kein Urlaub.“ Ein Portrait des Algeriers Akli Kebaili

„Viele Bewohner meines Heimatdorfs glauben, außerhalb unseres Dorfes sei nur noch der Himmel“, sagt Akli Kebaili, in Deutschland promovierter Jurist aus Algerien. Er ist geboren in Kabylei, einem Dorf in der Berber- Region, die als Land der Imazighen (das Land der freien Menschen) bezeichnet wird. Akli Kebaili ist 41 Jahre alt und lebt seit 1979 in Deutschland. Obwohl er die deutsche Sprache perfekt beherrscht und weitgehend in der bundesrepublikanischen Gesellschaft integriert ist, bleibt das Wort Urlaub für ihn immer noch ein Fremdwort. Er könne dieses Ritual, das sich bei Millionen Deutschen Jahr für Jahr wiederhole, nicht nachvollziehen.

Was ihn in die Heimat treibe, sei die Sehnsucht nach der heimatlichen Dorfgemeinschaft, die Sehnsucht nach der alten Mutter, die die Zuversicht haben soll, der Sohn werde sie nie im Stich lassen. Es ist die Beziehung zu Freunden, der Musik, der Landschaft.

Die Schönheit der Berber-Region habe er erst nach längerem Aufenthalt in Deutschland entdeckt. „Deutschland ist ein schönes Land“, sagt Akli Kebaili. „Aber es ist eine langweilige Schönheit. Überall ist es grün, eine endlose Variation desselben Themas.“

Dagegen sei die Berber-Region ungeheuer abwechslungsreich: in dieser Landschaft herrsche eine Dramatik, die den Betrachter innerlich bewege und nicht zur Ruhe kommen lasse. Erst in den letzten Jahren habe er ein Gespür bekommen für die Vielfalt der Pflanzen, Kräuter, Blumen und Bäume, für die farbenreichen Felsen, für die erhabene Gelassenheit der Berge.

Aber es ist nicht nur die Landschaft, die ihn in die Heimat zieht. Es sind vor allem die Menschen.

In Deutschland seien zwar die Menschen offen und ehrlich – ein großer Vorzug, da wisse man, wo man dran ist. Doch er vermisse die Spontaneität, das Emotionale. Er habe hier zwar einen großen Bekanntenkreis, aber zu einer echten Freundschaft sei es bisher nicht gekommen. Ursache dafür sei eine gewisse Distanz, die in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu spüren sei.

Natürlich habe die beeindruckende Spontaneität, die ihm in der Heimat begegne, auch gewisse Nachteile. Zum Beispiel schaffe man es selten, allein zu sein. „Sobald ich zu Hause ankomme, scharen sich Freunde und Bekannte um mich. Das ist angenehm, aber manchmal auch zu viel, besonders für meine Mutter, die die Besuche bewirten muß.“

Im Grunde brauche er beide Gesellschaften, Deutschland und Algerien. Die Reisen nach Algerien haben in seinem Leben einen weit größeren Stellenwert als ein normaler Urlaub. Sie prägen seine Identität.

„Die gemeinsamen Wanderungen mit Freunden, das Erleben des Sonnenuntergangs in dieser herrlichen Landschaft möchte ich niemals vermissen. Es ist jedesmal ein Erlebnis, wenn wir in der Dämmerung um ein Feuer sitzen, etwas Wein trinken und miteinander plaudern. Da kann jeder über alles reden. Dort spüre ich eine Geborgenheit, die ich in Deutschland nie empfunden habe.“

Die Rückkehr nach Deutschland falle ihm jedesmal schwer. Doch einmal, als die Ausreise tatsächlich auf Schwierigkeiten stieß, meldeten sich bis dahin unbekannte Sehnsüchte nach Deutschland, nach der offenen, gemischten bundesrepublikanischen Gesellschaft, nach politischer Freiheit, demokratischen Verhältnissen.

Diese Vorzüge sind besonders in den letzten Jahren für Kebaili auffälliger geworden. Die Region, aus der er stammt, wird zwar als „das Land freier Menschen“ bezeichnet, mit der Freiheit sei es aber nicht weit her. Die gesellschaftlich-traditionellen Unterdrückungsmechnismen, vor allem Frauen gegenüber, auch die politische Entwicklung der vergangenen Jahre seien häufig bedrückend und nicht selten beängstigend. Er habe oft unruhige und schlaflose Nächte verbracht. „Tagsüber ist man eingebettet in der Gemeinschaft, doch nachts, wenn man allein ist, schleichen sich Ängste ein. Da fühlt man sich in Deutschland doch sicherer.“

„Diese Zerrissenheit zwischen zwei Welten ist ein Los, das zum Leben eines jeden Migranten gehört. Man kann die eine Welt nicht durch die andere ersetzen. Das Erlebnis der Heimat ist kein Urlaub. Es ist ein Teil unserer Identität.“ Bahman Nirumand