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■ An Bertis HackenSankt Paulianer für Seppo

Was wurde auf ihn vor der Fußballweltmeisterschaft eingeprügelt, wie sehr wurde er wegen seines ergreifend schlichten Gemütes von einigen Teilen der Journaille verspottet („ Schon bei Wilhelm Tell wurde der Tyrannenmord am Beispiel eines Vogts erläutert“, so die Berliner Illustrierte Sportkritik). Doch Bundestrainer Berti Vogts geht es wie dem Bundeskanzler: Er kann sich in entscheidenen Situationen stets auf die Liebe seines Volkes verlassen. Auch daran zu erkennen, daß sich Deutschlands größte Bürgerinitiative unter der Schirmherrschaft des Norddeutschen Rundfunks formierte: „Bürger für Berti!“. Die good vibrations schwappten über den Atlantik hinüber und gaben ihm und seinen Buben den nötigen Rückhalt, um in der Fremde bestehen zu können.

Nur die Leser einer kleinen Hamburger Boulevardzeitung schießen quer und fordern vehement die Ablösung von Hans-Hubert Vogts und die Berufung von St. Pauli-Coach Josef Eichkorn zum neuen Nationaltrainer. Ein Aufschrei geht durch die taz-Redaktion. Ausgerechnet Seppo, nein, der wird doch so dringend bei unseren geliebten Kiezkickern benötigt. Unser Seppo, optisch die gelungene Verschmelzung von Gene Wilder und Woody Allen. Ein Bauernlümmel, der über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme mit Migrantenkindern zu seinem Job als Zweitligatrainer gekommen ist und der jetzt ein paar Schwierigkeiten im Verein hat, nur weil er von seinem Arbeitnehmer-Recht auf Urlaub Gebrauch gemacht hat und sich nicht jeden Tag bei St. Pauli-Manager Jürgen Wähling melden wollte. Zwar fehlten, so Jürgen Wähling, dem FC St. Pauli durch diese Kommunikationspanne noch einige Spieler für die kommende Saison, doch hat Seppo nicht in der vergangenen Serie bewiesen, daß man auch mit mäßig begnadeten Kickern und minimalistischer Spielkunst in der zweiten Liga oben mitmischen kann? Es würde so gar nicht dem Charakter des Vereins entsprechen, wenn auf einmal kombinationssicherer Offensivfußball zelebriert werden würde. Käme dann noch dieses spezielle Millerntorfeeling zustande, jene Umsetzung der sozioökonomischen Verhältnisse in diesem Stadtteil durch fußballerische Mittel? Wir sagen nein und fordern: Sankt Paulianer für Seppo. Schon allein, damit Berti bei seinen Buben bleibt.

Max Schulz

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