Ja, es geht um eine Volksfront...

■ betr.: Verhältnis SPD und PDS und Rot-Grün in Magdeburg

Das Herzog-Wort vom Unverkrampften macht die Runde. Von diesem Wort des neuen ersten Mannes in unserem Staat sollte niemand mehr Gebrauch machen, sollte sich niemand mehr elektrisieren lassen als SPD und PDS, deren Verhältnis zueinander ein total verkrampftes ist – sehr zum Wohlgefallen der bürgerlichen Parteien dieses Landes. [...]

Doch es gibt ein einfaches, aber kühnes und auch nicht unproblematisches, heilsames Gegengift: Die SPD sollte der PDS das Angebot der Wiederherstellung – der SPD machen. Ja, der SPD in deren ganzer politischeR Bandbreite von Eduard Bernstein rechts bis Rosa Luxemburg links, von Karl Liebknecht links bis Friedrich Ebert rechts. Solange die SPD in ihrem ganzen Spektrum vom Vor-August 1914 nicht wiederhergestellt ist – natürlich auf erneuerter und die ganze deutsche Geschichte seit 1914 verarbeiteter und sich gegenseitig abgebeichteter Grundlage –, bleiben in Deutschland die Verhältnisse verkrampft und wird fortwährend Verkrampftes gezeugt. Die SPD sollte zuerst die Hand in Richtung PDS ausstrecken, denn von ihr ging die Spaltung der deutschen Linken aus – zum Schaden von ganz Deutschland, zum Schaden von Millionen Menschen in der ganzen Welt. [...] Was hier und heute realisiert werden kann und muß, das ist die Herstellung eines vernünftigen, diffamierungsfreien, eines einander zugewandten, unverkrampften praktischen Arbeitsverhältnisses mit der Aussicht, ein politisches Freundschaftsverhältnis zu werden.

Die SPD sollte den Volksfront- Vorwurf der Rechten produktiv aufgreifen. Ja, es geht um eine Volksfront, um die Volksfront der Millionen wirtschaftlich und politisch Schwachen und Entrechteten – Arbeitslose, Ausländer – gegen die Reichs- und Reichtumsfront der wirtschaftlich und politisch und publizistisch Mächtigen dieses Landes. Es geht schlicht und einfach um die Kerngebote der Demokratie, um Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit.

Was ist denn der Hauptvorwurf der bürgerlichen Parteien gegen die PDS beziehungsweise gegen deren Vorgängerin SED? Der Mauerbau? Der Schießbefehl? Bautzen? Lächerlich! Die bürgerlich-konservativen Parteien in Deutschland haben Deutschland in ganz anderen Zuständen 1918 und 1945 zurückgelassen, als es die SED 1989 in ihrem Machtbereich getan hat. Die bürgerlichen Parteien, die im März 1933 Adolf Hitler zu seiner zwölfjährigen Terrorherrschaft ermächtigt haben, zeichnen für ganz andere Mauerbauten und Schießbefehle verantwortlich. [...]

Der Hauptvorwurf der bürgerlichen Parteien an die Adresse der SED und deren Nachfolgerin PDS ist die schlichte Tatsache, daß die – die Ulbrichts und die Honeckers und auch die Grotewohls – sich doch erdreistet haben, die Eigentums- und Besitzverhältnisse in Deutschland anzutasten. Deren Unantastbarkeit ist aber der wahre Hauptartikel der deutschen Verfassung und Verfaßtheit. [...] Michael D. Düllmann, Bonn